Unser Deutschlandmärchen

Ungewöhnlich ist schon die Form, in der Dinçer Güçyeter in seinem Roman „Unser Deutschlandmärchen“ die Geschichte seiner Einwandererfamilie erzählt: als Collage, die u.a. Rap, Gebete, Monologe und Dialoge mixte, schildert er das schwierige Ankommen seiner Mutter Fatma in Nettetal.

Ebenso ungewöhnlich ist aber auch die Form, in der Hakan Savaş Mican diesen Roman erzählt: der knapp zweistündige Abend wird zum Musical. Taner Şahintürk und Sesede Terziyan wechseln sich in den Rollen von Sohn Dinçer und Mutter Fatma mit großen Soli ab. Auf beeindruckendem musikalischem Niveau treten die beiden Schauspieler in einen Dialog: sie singt sehnsuchtsvolle türkische Lieder, vor allem von der Popsängerin und Komponistin Sezen Aksu, er antwortet mit westlichen Songs, mal auf Deutsch wie mit Herbert Grönemeyers „Flugzeuge im Bauch“, mal auf Englisch wie mit „More“ von Sisters of Mercy. Wenn man unter den vielen Momenten einen besonders hervorheben möchte, dann dieses „More“-Solo, in das Sahintürk seine ganze Wut hineinpackt. Seine Figur Dinçer möchte sich nicht mehr wie die sogenannte „Gastarbeitergeneration“ am Rande der Gesellschaft abrackern. Er will Anerkennung auf Augenhöhe und künstlerische Freiräume ausprobieren, am Theater in Köln, mit eigenen lyrischen Texten.

Hier sind wir natürlich beim Kern des postmigrantischen Theaters, mit dem Shermin Langhoff am Ballhaus Naunynstraße angetreten ist und seit 2013 am Gorki Theater die deutschsprachige Theaterlandschaft prägt. In „Unser Deutschlandmärchen“ hat Savaş Mican sehr, sehr viel von dem hineingepackt, wofür das Gorki Theater programmatisch steht und einen Hit gelandet: ein Abend mit großen Gefühlen, sentimental, aber nicht kitschig.

Der einzige Makel des Abends ist, dass man in den Spielszenen zwischen den Songs das Gefühl hat, diese Geschichte von Mutter und Sohn aus einer Migrantenfamilie in den vergangenen Jahren schon oft am Haus in ähnlicher Form gehört und gesehen zu haben. „Unser Deutschlandmärchen“ trifft zwar den Markenkern. Die Gefahr ist nach dem Verlust prägender Künstler*innen wie Yael Ronen und Falk Richter, dass sich das thematische Repertoire zu sehr auf die Migrationserzählungen und das schwierige Ankommen wie zuletzt auch in „Dschinns“ oder „Ellbogen“ verengt.

Bild: Ute Langkafel MAIFOTO

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert