Birgitte Nyborg kann einem schon manchmal auf den Keks gehen: die „Borgen“-Hauptfigur bekommt von den Machern der dänischen Politserie (Adam Price als Hauptautor und den Co-Autoren Jeppe Gjervig Gram und Tobias Lindholm) oft Redetexte in den Mund gelegt, die zu sehr nach schöner, heiler Sprechblasen-Welt klingen. Mit einer Prise zu viel Pathos vorgetragen und so gestanzt, dass Nyborg nicht wie die Regierungschefin eines EU-Landes, sondern wie eine Prinzessin aus dem Märchenreich wirkt.
Daran störte sich auch der Regisseur Nicolas Stemann, der vor der Premiere seiner Theater-Adaption an der Berliner Schaubühne, im Interview mit der Freitags-Redakteurin Christine Käppeler sagte: „Ich misstraue der Nyborg.“
Er hat sich gemeinsam mit seinem Dramaturgen Bernd Stegemann und seinem Ensemble vorgenommen, den „Wohlfühlserienfilter“ wegzunehmen und die heilige Birgitte von Christiansborg zu entzaubern. Stefanie Eidt (als Birgitte Nyborg), Tilman Strauß (als Spindoktor Kasper Juul), Regine Zimmermann (als Journalistin Katrine Fønsmark) und Sebastian Rudolph (als Nyborgs Mann Phillip Christensen) finden sich an einem langen Tisch voller Apparate und Kabelsalat wieder, der an eine chaotisch organisierte TV-Redaktion erinnert.
Für ihre fast vierstündige Vorstellung, die von zwei Pausen unterbrochen wird, picken sie sich markante Szenen aus den mittlerweile 30 Folgen der drei TV-Staffeln heraus. Diese werden mit aufgeklebten Bärten, schiefen Perücken und vom Teleprompter abgelesenen Dialogen karikiert. Ist die Szene durchgespielt, folgt entweder ein Lied im Stil von Bert Brecht, das die Handlung zusammenfasst, oder die beiden altklugen Kinder von Birgitte Nyborg referieren über soziale Ungleichheit und die Schattenseiten der Globalisierung. An diesen Stellen entfernt sich der Abend am weitesten von seiner Vorlage. Meist wird aber gleich im Schnelldurchlauf vorgespult. Besucher, die das dänische Original bisher nicht kannten, könnten angesichts der vielen Namen und Nebenrollen, die das Ensemble unter sich aufteilt, den Überblick verlieren.
Diese kabarettistische Herangehensweise an „Borgen“ läuft Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Der bekennende Polit-Serien-Fan Jürgen Trittin hat in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur zurecht beklagt: „Das Plakative gewinnt, es verliert sozusagen die Differenzierung, der Zwischenton.“ Auch wenn Birgitte Nyborg manchmal nervt, ist „Borgen“ nicht umsonst ein Exportschlager und Qualitätsfernsehen. Die Serie malt nicht nur Schwarz-Weiß, sondern verhandelt in Grautönen das Aushandeln politischer Kompromisse bei Regierungsbildungen und im Tagesgeschäft. „Borgen“ lotet die Handlungsspielräume von Minderheitsregierungen aus, beleuchtet das schwierige Verhältnis gegenseitiger Instrumentalisierung von Politik und Boulevard-Medien und die Auswüchse von Spin-Doktoren und Lobbyismus. All das kommt an diesem langen Abend deutlich zu kurz. Stemann macht es sich mit seiner pauschalen Ablehnung der Serie zu einfach.
Mich hat an diesem Theaterprojekt vor allem ein Aspekt interessiert, den Stemann nur anreißt: wie im Rückspiegel erkennen wir in den Dialogen der 1. Staffel, die in Dänemark schon vor sechs Jahren ausgestrahlt wurde, ein erstaunliches Abbild unserer gegenwärtigen politischen Diskussion. Auf der einen Seite das Erstarken einer rechtspopulistischen Partei, die mit ihren Parolen die politische Mitte vor sich hertreibt. Sie fordern die Schließung der Grenzen, mehr Abschreckung und die Verschärfung des Asylrechts. Auf der anderen Seite eine Regierungschefin, die für Willkommenskultur eintritt. Stemann greift diese, wie er im Interview mit dem Freitag selbst sagte, „frappierenden“ Parallelen zwar auf, belässt es aber bei einigen eingestreuten „Wir schaffen das!“-Zitaten und einem Räsonieren über das ökonomische Kalkül hinter einer liberalen Einwanderungspolitik.
Als die Serie 2010 in Dänemark erstmals ausgestrahlt wurde, waren die Flüchtlinge hierzulande noch ein Thema für eine Minderheit um Pro Asyl und Claudia Roth. Auf unserer „Insel der Seligen“ vertrauten wir darauf, dass uns das Dublin-Abkommen die Not der Flüchtlinge vom Leib halte. Erst als sich die Bilder von Ertrinkenden vor Lampedusa häuften, wurde die deutsche Öffentlichkeit wachgerüttelt. Nicolas Stemann leistete dazu mit seiner sehenswerteren Inszenierung „Die Schutzbefohlenen“ seinen Beitrag. Die schrillen Töne von rechts, über die viele in den vergangenen Monaten erschrocken sind und die an der Schaubühne in Falk Richters „Fear“ thematisiert werden, waren in Dänemark und vielen anderen EU-Staaten schon damals in den Parlamenten vertreten. Die Dänische Volkspartei unterstützte zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung von „Borgen“ bereits seit mehreren Jahren eine liberal-konservative Minderheitsregierung und fuhr stabile Wahlergebnisse von 12-14 % ein. Verhältnisse, von denen wir uns damals weit entfernt wähnten… Mittlerweile ist die rechtspopulistische Volkspartei mit 37 Parlamentssitzen und 21,1 % der Stimmen zur zweitstärksten politischen Partei in Dänemark aufgestiegen.
Es wäre interessant gewesen, diese Zusammenhänge noch stärker zu beleuchten, anstatt sich in einer kabarettistischen Nacherzählung des Serienstoffs zu verzetteln. Außer einer entzauberten Birgitte Nyborg bleibt wenig von diesem Schaubühnen-Abend.
Wenn die heilige Birgitte von Christiansborg mal wieder nervt, gibt es aber noch zwei andere bewährte Gegenmittel: Entweder man legt ein paar Folgen „House of Cards“ mit Kevin Spacey als diabolischem Strippenzieher ein. Diese Serie wird etwa zur Hälfte von Stemanns Inszenierung, als es um Guantánamo-Häftlinge und einen US-Staatsbesuch geht, auch kurz zitiert. Oder man sieht sich die Birgitte-Darstellerin Sidse Babett Knudsen in „Duke of Burgundy“ an, wo sie von Peter Strickland ganz entgegen den mit ihrer „Borgen“-Rolle verknüpften Erwartungen besetzt wurde.
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