Medea

Nur eine Stunde kurz ist die feministische „Medea“-Meditation von Oliver Frljić, die er im Januar 2017 am Slowenische Nationaltheater Maribor inszenierte.

Ähnlich wie seine jüngste „Anna Karenina oder Arme Leute“-Klassiker-Adaption am Gorki Theater ist auch diese Aufführung über weite Strecken ungewohnt konservativ angelegt. Die Handlung, die sich bei Motiven der Euripides-Tragödie bedient, wurde aus der Antike in ein großbürgerliches Setting der Moderne verlegt. In edlen Roben sprechen die Spieler*innen distinguierte Dialoge, wie man sie aus dem klassischen Literaturtheater vergangener Jahrzehnte kennt. Wie in einer Lounge perlen sanfte Klavierklänge im Hintergrund, während sich Medea eine Zigarette anzündet und das Publikum zuqualmt.

Durchbrochen wird die Szenenfolge von den regelmäßigen Wutausbrüchen der Titelfigur, die kurz vor Schluss mit blutverschmiertem Mund allein auf der Bühne steht, während alle Männer dahingemetzelt sind. In einer der wenigen Szenen, die aus einem allzu beliebig dahinplätschernden Abend herausstechen, hat die Medea-Darstellerin alle männlichen Mitspieler in ihren schicken Anzügen zu hilflosen Puppen degradiert, denen sie alberne Pappkrönchen aufsetzt.

Zur finalen Auseinandersetzung weicht die Lounge-Musik einem donnernden Crescendo, in blutroten Lettern pinselt ein Spieler „MEDEA“ auf die Rückwand, bevor Ruhe einkehrt und Medea zu einem kurzen feministischen Epilog ansetzt. Sie steht im Zentrum stummer Männer, die hinter archaischen Stier-Masken versteckt sind, und reflektiert mit ruhiger Stimme über das jahrhundertelange Schicksal der Frauen im Patriarchat, die ganz auf die Rolle der Hausfrau und Mutter festgelegt waren.

Schade ist, dass die Zeitplanung des Gorki-Herbstsalons so unglücklich war, dass sich die verschobene Premiere „Oder Du verdienst Deinen Krieg“ auf der Studiobühne um wenige Minuten mit diesem Gastspiel überschnitt, so dass man nicht beide Aufführungen an einem Abend sehen konnte. Gerade diese Möglichkeit macht den Reiz eines Festivals aus.

Bilder: Damjan Švarc

2 thoughts on “Medea

  1. Katrin Reply

    Ich kann die benannte Überschneidung beider Vorstellungen nicht bestätigen, denn ich habe sowohl Medea als auch die Premiere „Oder Du verdienst Deinen Krieg“ sehen können an diesem Abend. Das Festivalfeeling kam absolut auf.

    1. Konrad Kögler Reply

      Im Vorfeld wurde es vom Gorki Theater anders kommuniziert, dass es nicht möglich wäre, beides an einem Abend zu sehen. Schön, dass die Zeiten dann noch so angepasst wurden. Ich habe leider erst nachträglich davon erfahren.

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