Green Corridors

Düsterer Realismus prägte „Bad Roads“ von Natalka Vorozhbyt. Grausamkeit reihte sich an Grausamkeit in diesem Gastspiel des Left Bank Theatere, Kiew, in dem die Autorin von der ersten Phase des Kriegs in der Ukraine erzählte. Der Westen schaute nach kurzer Empörung über die russische Annexion der Krim im Frühjahr 2014 teilnahmslos zu, wie der Krieg an der ostukrainischen Front viele Jahre weiterging und die Versuche, ihn mit dem Minsker Abkommen einzufrieren, scheiterten.

Bedrückend ist auch das Setting ihres neuen Stücks. Zu Beginn ihres Auftragswerks „Green Corridors“ für die Münchner Kammerspiele kauern Gestalten mit ihren Koffern auf der Flucht vor einem Betonwand-Imitat, das Julia Kurzweg in die kleinere Spielstätte, die Therese Giehse-Halle, stellte. Überraschend schlägt Vorozhbyt dann einen ganz anderen Ton an: „Green Corridors“ wird zur gallig-schwarzhumorigen, schnell geschnittenen Szenenfolge über die Geschichte der Ukraine als Kette von Leid, Krieg und Gewalt. Als Konstante dieser Szenen, die recht unvermittelt zwischen dem russischen Angriff der Gegenwart und biographischen Skizzen aus dem 20. Jahrhundert wechseln, wird Swetlana Belesova regelmäßig eingekreist, gegen die Betonwand gedrängt und slapstickhaft ermordet. Für bewusste Irritation sorgen Autorin Vorozhbyt und Regisseur Jan-Christoph Gockel, wenn sie die aktuellen, oft drastischen Beschreibungen der Verbrechen wie z.B. der Vergewaltigungen in Butscha  in skurrile, geradezu deplatziert wirkende Pointen münden lassen.

Fragezeichen hinterlässt es auch, wenn die Inszenierung so umstrittene Figuren wie den ukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera, der 1959 im Münchner Exil vom KGB ermordert wurde, als eine weitere Wimmelbild-Figur in die Kriegsgroteske einführt. Einordnungen oder Erklärungen, die für ein westliches Publikum notwendig wären, passen nicht ins Konzept dieser galligen Kriegs-Revue. So taucht Bandera so schnell auf wie er verschwindet, ebenso wie Olena Teliha, eine 1942 von den Nazis ermordete Dichterin, oder der Komponist Mykola Leontowytsch, der 1921 vom Geheimdienst ermordet wurde.

Im zweiten Teil des Abends versuchen Vorozhbyt und Gockel, den Westen aufs Korn zu nehmen. Ihr Vorwurf, dass die deutsche Öffentlichkeit am liebsten weiter in Ruhe gelassen würde, steht in seltsamem Kontrast zur deutschen, leidenschaftlich bis hysterisch geführten Debatte über Waffenlieferungen seit mehr als 13 Monaten und den mantrahaften Bekenntnissen, dass man fest an der Seite der Ukraine stehe. Die blau-gelbe Flagge weht einige Meter weiter über dem Nationaltheater am Max Joseph-Platz. Die Figur von Johanna Eiworth, die im Programmheft als prototypische „Europäerin“ genannt wird, wirkt wie aus einer Parallelwelt, die mit den realen Diskursen wenig zu tun hat.

Es ist ein spannendes Experiment,  eine „Vermessung des Krieges“ (so der Untertitel) bei einer bekannten ukrainischen Autorin in Auftrag zu geben, bei dem Kammerspiele-Ensemble-Mitglieder, ukrainische Gäste, ein Live-Musiker und eine Live-Zeichnerin gemeinsam auf der schmalen Vorderbühne vor der erst spät umkippenden Betonwand agieren. Sofiia Melnyk zeichnet auf ihrem Tablet die Zwischentitel und schreibt Zusatz-Infos, die an die Wand projiziert werden, damit das Publikum bei den Sprüngen zwischen den Szenen besser folgen kann. Am Ende bleiben aber trotz des bei Premieren üblichen Jubels viele Fragezeichen nach diesem knapp zweistündigen Abend.

Bilder: Armin Smailovic

2 thoughts on “Green Corridors

  1. Anne Reply

    Dass es einige Fragezeichen gab, fand ich durchaus in Ordnung. Wie soll es bei dieser Causa ohne auskommen?
    Zumal man sich informieren kann, vorher wie nachher.

    Beste Grüße
    Anne

  2. Thomas Reply

    Ich habe selten ein so intensives Theatererlebnis gehabt. Tolles Stück und eine geniale Inszenierung. Ich war in der zweiten Vorstellung, ohne Premierenpublikum. Es gab standing ovations, Jubel und viel Bravo. Danke für diesen Abend. Von mir viele Ausrufezeichen.
    Thomas

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