Parallax

Hyperrealistisch mit surrealen Einsprengseln ist die deutsch-jüdisch-ungarische Familiensaga „Parallax“, die Kata Wéber und Kornél Mundruczó mit dem Ensemble des Budapester Proton Theatre entwickelten. In dieser Stadt spielt das Stück zwar der Wohnküche der in ihrer Demenz versinkenden Großmutter Eva (Lili Monori), in Ungarn wird es aber aus politischen und finanziellen Gründen nicht zu sehen sein.

Als Koproduktion mit den Wiener Festwochen und dem HAU sowie weiterer Partner quer durch Europa wurde „Parallax“ inszeniert, beiden Institutionen ist Mundruczó seit Jahren verbunden. An zwei Abenden war das Familienpanorama kurz nach der Premiere im Wiener MuseumsQuartier nun auch im leider nicht ausverkauften Kreuzberger Produktionshaus zu erleben.

Der knapp zweistündige Abend zerfällt in drei Teile: zu Beginn bekommt Eva Besuch von ihrer Tochter Lena (Emőke Kiss-Végh). Das Gespräch am Küchentisch kreist um das Trauma des Holocausts, Eva wurde in Auschwitz geboren und von KZ-Arzt Josef Mengele für seine Menschenversuche missbraucht. Der Schmerz dieses Traumas überschattet die ganze Familie, belastet bis heute das Verhältnis zur Tochter. Die Übertitel des per Livekamera gefilmten Gesprächs sind nicht durchweg gut zu lesen, dem roten Faden kann man dennoch gut folgen. Die Großmutter hat kein Verständnis für den Wunsch der Tochter, aus dem Familienarchiv jüdische Abstimmungsurkunden herauszukramen, damit der Enkel Jonas (Erik Major) in Berlin eine jüdische Schule besuchen kann. Das Streitgespräch ist zwar oft recht plakativ, aber der stärkste Teil des Abends. Es kulminiert in Sturzbächen von Wasser, die aus der Klimaanlage und diversen Schächten dringen und die Bühne fluten.

Harter Schnitt, Jahre später sind wir in derselben Küche, die Großmutter ist gestorben. Jonas reiste zur Beerdigung an und feiert eine Orgie oder zumindest das, was sich Mundruczó/Wéber darunter vorstellen. Mit viel Drogen plantschen er und einige andere, meist wesentlich ältere Männer durch die Küche der Verstorbenen und deuten in langen, langen Szenen diverse Penetrationen an. Diese Szene kulminiert in der Empörung eines Ministeralbeamten, der nach außen das Leben eines brav-heteronormativen Familienvaters vorspiegelt, dass Filmaufnahmen gemacht wurden. Er rechnet mit der selbstbewussten Pride-Kultur der LGBTIQ+-Szene ab und rechtfertigt seinen Spagat zwischen linientreuer Anpassung an ein autoritäres System und heimlicher Triebabfuhr.

Dies wird alles arg in die Länge gezogen, bevor sich alle, inclusive der gerade verstorbenen Großmutter, zu einem harmonischen, fast kitschigen Traumtanz in der Küche wieder zusammenfinden.

Bild: Kornél Mundruczó 

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