Lange Nacht der Autorinnen 2024

Traditionell enden die ATT mit einer Langen Nacht. Abweichend vom aus Uli Khuons Intendanz gewohnten Verfahren konnten sich aber die Autor*innen diesmal nicht selbst bewerben und kürte keine Jury die drei Preisträger-Stücke, die an diesem Abschlussabend gezeigt werden. Ausnahmsweise bestimmte das Deutsche Theater Berlin bereits zu Beginn der Spielzeit vier mehr oder weniger etablierte Theater-Frauen, die ein Jahr lang in sogenannten Ateliers an Texten schreiben und mit einem Regie/Schauspiel-Team arbeiten sollten. Die Frauen-Quote beträgt in diesem Jahr tatsächlich 100 %, so dass das Gender-Sternchen im Titel überflüssig ist.

Trotz des sehr langen Vorlaufs hatten die präsentierten Arbeiten sehr deutlich Werkstattcharakter. Am stärksten trifft dies auf „Von der Mutter ein Gruß“ von Caren Jeß. Die Autorin, die im vergangenen Jahr mit „Dem Marder die Taube“ überzeugte, saß in Daniel Foersters Inszenierung selbst mit auf der Bühne. Sie schwitzt an einem kleinen Schreibtisch und brütet über den Stückanfängen. Selbstironisch erzählt diese szenische Lesung von den Mühen der Autorin und ihrem unfertigen Prozess, die Stimmen in ihrem Kopf verkörpern Daria von Loewenich (als „Der Kommentar“) und Frieder Langenberger (als „Der Freund“). Wie üblich widmet sich Jeß wieder ihrem Faible für Tier-Figuren, diesmal geht es um eine dysfunktionale Adler-Familie und das Leiden der Mutter (Felix Goeser) an ihrem völlig überforderten Sohn (Alexej Lochmann), der das Lieblingskind (Live-Musiker Jan Preißler) aus dem Weg geräumt hat. Eine weitere Nebenfigur ist der Schäferhund Success (Florian Köhler), den sich die Adler-Familie hält.

Jeß lässt ihr Talent für Komik aufblitzen und im Begleittext wird auch noch klarer, dass das fertige Produkt anhand der Adler-Familie den Faschismus und Rechtsextremismus mit ihrem Kult um das Recht des Stärkeren thematisieren möchte. Spurenelemente sind in dieser launig-unterhaltsamen Arbeit schon da.

Viel Arbeit hat auch die Polin Ewe Benbenek, mit ihrem „Tragödienbastard“ Mülheim-Gewinnerin 2021 noch beim Feinschliff an „Ix“ vor sich. Ihr Ansatz, den Iphigenie-Klassiker von Johann Wolfgang von Goethe mit Fragen nach Aufklärung und Humanismus zu verschneiden, ist vielversprechend. Der Try-Out präsentiert eine Textfläche, die sich nur bei Lektüre des Programmzettels erschließt. Die Werkstatt-Inszenierung von Claudia Bossard überzeugt musikalisch: Mathilda Switala, die als Iphigenie mitten im Publikum thront, glänzt mit einem Britney Spears-Song und macht Sina Martens Konkurrenz, die Band spielt sich ironisch weiter durch Ohrwürmer von Coldplay (Yellow) bis Udo Jürgens (Griechischer Wein).

Nach Nele Stuhlers Sprach-Spielerei „Leichter Gesang“, die FX Mayr als weiteren Baustein in der Kooperation von DT und RambaZamba umsetzte, klang die Lange Nacht zu den melancholischen Klavierklängen von Samuel Weise aus. Patty Kim Hamilton, in New York geboren und aktuell in Berlin und Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt) lebend, erzählt in „Und der Himmel über uns ist sein eigenes Land“ von einem Berliner Künstler (Simon Kluth als Gast), der nach dem Ende einer Beziehung in einem fiktiven ostdeutschen Dorf landet und auf die Einheimischen (Mareike Beykirch, Jörg Pose, Anja Schneider) trifft, die zu klischeehaft als minderbemittelte, für rechte Parolen offene Landeier gezeichnet werden.

Die Werkstattinszenierungen wurden am 15. Juni auf der großen Bühne des DT und in der Kammer präsentiert, weitere Vorstellungen wurden nicht angekündigt.

Bilder: Jasmin Schuller

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