Oh Schreck!

Selten gelingt Theaterinszenierungen der Balance-Akt, auf ganz unterschiedlichen  Ebenen zu funktionieren. Jan-Christoph Gockels „Oh Schreck!“ schafft das an den Münchner Kammerspielen.

Zunächst ist der Abend eine Hommage an den Stummfilmklassiker „Nosferatu“ und dessen Hauptdarsteller Max Schreck, der in den 1920er und 1930er Jahren auch im Ensemble der Münchner Kammerspiele engagiert war und dort vor allem Nebenfiguren spielte. Puppenbauer Michael Pietsch, bewährter Partner vieler Gockel-Inszenierungen spielt in diesem von der Kulturstiftung des Bundes finanzierten Inklusionsprojekt mit seinen Puppen und einem Cast aus Spieler*innen mit und ohne Behinderung Schlüsselszenen des Films nach, an dessen Remake sich kurz vor der Premiere im Januar auch Kino-Regisseur Robert Eggers ächzend versuchte.

Auf der zweiten Ebene tobt sich eine rasante Splatter-Vampir-Komödie aus: ein Spiel mit den Genre-Motiven, das mit viel Kunstblut und gutem Timing der Gags unterhält.

Drittens ist „Oh Schreck!“ ein Abschied von einem prägenden Schauspieler des Hauses: Walter Hess hat mit 86 Jahren in diesem grellen Trubel noch mal einen eindrucksvollen Auftritt. Seit 2002 ist er im Ensemble der Kammerspiele und gibt an diesem Abend Walther von der Hess, der als einziger Nicht-Vampir unter lauter Vampiren lebt und unbedingt die „Nosferatu“-Hauptrolle ergattern möchte. Dafür besucht er in einem lustigen Video-Einspieler die Würzburger Firma Alphabite, die auf Filmzähne und Spezialanfertigungen spezialisiert. Immer wieder betont er, dass es seine letzte Rolle eines langen Bühnenlebens sein könnte.

 

Vor allem lohnt sich „Oh Schreck!“ aber als bissig-ironische Auseinandersetzung der aktuellen Intendanz von Barbara Mundel mit der traditionsreichen Geschichte des Hauses und ihren Kritiker*innen. Etwas platt gerät noch die Parodie auf den legendären Vorgänger Dieter Dorn, der für Sprechkunst und Klassikerpflege bekannt war. Dennis Fell-Hernandez spielt Denis Dorn als tobsüchtigen Chef. Umso furioser ist hingegen Katharina Bachs Auftritt als Vampirjägerin Van Helsing. Allein dafür würde sich der Besuch der Vorstellung schon lohnen. In einem Rundumschlag zieht sie all die Argumente durch den Kakao, die gegen Mundels Intendanz ins Feld geführt werden: zu viel Performatives, zu unklare Aussprache, zu blutleer. Ihre Suada wird zu ihrem meiner Meinung nach bislang besten Kammerspiele-Auftritt und einem Beweis, wie vital und vielfältig das Sprechtheater auch jenseits der Klassiker sein kann.

Mit diesem knapp zweistündigen Abend gelingt Jan-Christoph Gockel eine sehr konzentrierte, auf mehreren Ebenen überzeugende Inszenierung. Sowohl an den Münchner Kammerspielen als auch am Deutschen Theater Berlin erlag er zuletzt oft der Gefahr, dass zu viele Ideen und Stränge den Abend überfrachten. Umso schöner, dass dieses ambitionierte Projekt gelingt und bei Publikum und Kritik ankam.

„Oh Schreck“ hatte am 24. Januar 2025 im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele seine Uraufführung. Gemeinsam mit „Mephisto“, das vom Publikum in ausverkauften Vorstellungen bejubelt wird, steht es für einen Aufwärtstrend an den Münchner Kammerspielen mit Publikumsschwund und Gegenwind in den Feuilletons.

Bilder: Armin Smailovic

 

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