In Grau- und Brauntönen suhlt sich das in Cannes gefeierte Historiendrama „In die Sonne schauen“ von Mascha Schilinski. Auf einem Hof in der Altmark, einer strukturschwachen Region in Sachsen-Anhalt ziemlich genau in der geographischen Mitte Deutschlands, versucht der Film über vier Generationen, in die Geschichte des Landes einzutauchen. Vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart mutet Schilinski ihren Figuren und ihrem Publikum eine Kette aus Schmerzen, Leid und Gewalt zu. Den Männern werden nach gnadenloser Verfolgungsjagd Beine amputiert, damit sie nicht in den Krieg ziehen müssen, Frauen gehen aus Furcht vor Vergewaltigung ins Wasser oder werden sterilisiert, damit die Knechte des Hofs über sie herfallen können, ohne dass sie schwanger werden und als Arbeitskräfte ausfallen.
Lichte Momente gibt es in diesem ebenso brutalen wie depressiven Kartoffel-Misery Porn kaum. Gepriesen wurde an „In die Sonne schauen“ der Stilwille, mit dem die junge Regisseurin zwischen den Zeiten wandelt. Eben noch klar fokussiert, verschwimmen die Bilder. Bestimmte Motive ziehen sich andeutungsweise durch die knapp 2,5 überlangen Kinostunden, der Schauplatz des einsamen Hofes bleibt ohnehin gleich.
Nicht jede Grausamkeit wird so demonstrativ ausgestellt wie das Zunähen des Augenlids einer Figur. Oft bleibt es bei Andeutungen der Traumata, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Dabei sind nicht alle blutsverwandt, die aktuellsten Bewohner des Gehöfts ist ein Paar aus Berlin (Luise Heyer/Lucas Prisor), die mit ihren Töchtern aufs Land ziehen und erstmal das angestaubte Mobiliar zertrümmern.
In Cannes schlug der Film überraschend ein. Es war erst Schilinskis zweiter Film. Ihr Debüt „Die Tochter“ lief 2017 in der längst eingestellten Berlinale-Nebenreihe Perspektive Deutsches Kino, mit der damals noch unbekannten Helena Zengel in der Hauptrolle. Der vom ZDF als „Kleines Fernsehspiel“ koproduzierte Historienreigen schaffte es nicht nur überraschend in den prestigeträchtigsten Wettbewerb der Filmkunst, am Ende des Festivals teilte sich „In die Sonne schauen“ den Preis der Jury mit dem deutlich sehenswerteren Werk eines anderen Newcomers, „Sirāt“ von Óliver Laxe.
Im Sommer 2025 folgten die Einladung zum Filmfest München und die Nominierung als deutscher Beitrag für das Oscar-Rennen 2026. Eine folgerichtige Wahl, da „In die Sonne schauen“ pflichtschuldig viele Klischee-Vorstellungen von Kartoffel-Kino erfüllt, die um Schmerz und Gewalt kreisen und jeden Anflug von Leichtigkeit und Lebensfreude voller Abscheu mit dem Holzhammer zertrümmern, so dass das Leiden weitergehen kann. Dementsprechend lang sollte die Liste der Trigger-Warnungen sein.
Am 28. August 2028 startete „In die Sonne schauen“ in den deutschen Kinos.
Bild: Studio Zentral
Brigitte Baetz
Danke. sehr treffende Rezension.