Heiner Müllers „Arturo Ui“ feiert am BE sein Jubiläum: Martin Wuttke nimmt Schauspielunterricht bei Jürgen Holtz

Schon von weitem ist eine schnarrende Stimme über Megaphon zu hören: die traditionelle Balkonrede darf auch bei der 403. Aufführung von Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui nicht fehlen. Aber ausgerechnet zum Jubiläum – genau zwanzig Jahre nach der Premiere am Pfingstsamstag 1995 – hätte Heiner Müllers legendäre Inszenierung beinahe ausfallen müssen. Dank mehrerer kurzfristiger Umbesetzungen und mit Mut zum Improvisieren konnte das große Event am Berliner Ensemble dann doch stattfinden.

Das Stück stammt noch aus der Ära vor Claus Peymann. In den Archiven der Feuilletons ist nachzulesen, unter welchen recht schwierigen Umständen die Proben begannen: Heiner Müller hatte einen Machtkampf mit Peter Zadek hinter sich, der das Haus lange in Atem gehalten hatte. Die Geschäftsführung wünschte sich sehnlich einen Kassenhit und Müller habe sich zunächst gesträubt, Brechts Parabel über den Aufstieg Adolf Hitlers aus dem Jahr 1941 auf die Bühne zu bringen. Dem jungen Hauptdarsteller Martin Wuttke aus Gelsenkirchen traten einige Kollegen eher reserviert gegenüber, wie sich Stephan Suschke, Heiner Müllers damaliger Assistent, erinnert.

Die Besetzung war dennoch ein Glücksgriff: Wuttke wurde damals als Schauspieler des Jahres 1995 ausgezeichnet und trägt das Stück bis heute. Vom ersten Auftritt als hechelnder Hund bis zur finalen Machtübernahme nach Ausschaltung aller Gegner, zappelt er mit beeindruckend-nervöser Energie über die Bühne. Das Herzstück des Dramas ist und bleibt Uis Lehrstunde bei einem Schauspieler, der ihm zeigen soll, wie man sich in der Öffentlichkeit möglichst vorteilhaft bewegt und die Massen rhetorisch überzeugt. Bei der Premiere war der große Bernhard Minetti in dieser Rolle zu erleben. Nach dem letzten Vorhang ließ es sich Peymann nicht nehmen, die lange Reihe der Namen zu verlesen, die in Minettis Fußstapfen seitdem als Schauspieler zu sehen waren: kein einziges leeres Hemd darunter, und derzeit übernimmt Jürgen Holtz diesen Part. Das Aufeinandertreffen der beiden Schauspielgrößen Wuttke und Holtz ist der Höhepunkt des Abends und ein kabarettistisches Kabinettstückchen.

Der aufhaltsame Aufstieg von Arturo Ui von Bertolt Brecht. – Regie: Heiner Müller. – Mit: Mit: Martin Wuttke (Ui), Martin Schneider (Roma), Volker Spengler (Giri), Martin Seifert (Givola), Stefan Lisewski (Dogsborough), Jürgen Holtz (Schauspieler), Margarita Broich (Dockdaisy, Mrs. Dullfeet), Roman Kaminski (Dullfeet), Michael Gerber (Sheet, Ragg/Reporter), Veit Schubert (Clark), Michael Rothmann (Butcher), Uli Pleßmann (Flake, Ansager), Thomas Wendrich (Bowl, Inna), Detlef Lutz (O´ Casey), Jörg Thieme (Gaffles), Axel Werner (Goodwill), Heinrich Buttchereit (Händler), Michael Kinkel (Händler), Victor Deiß (Händler, Givola), Uwe Preuss (Dogsborough jun., Leibwächter), Georgios Tsivanoglou (Händler), Claudia Burckhardt (Blutige Frau), Uwe Steinbruch (Leibwächter), Larissa Fuchs (Mabel Sheet), Stephan Schäfer (Balkonredner), Karla Sengteller (Doppelbesetzung Mabel Sheet). – Premiere am Berliner Ensemble: 3. Juni 1995

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