Im Kino: „Stonewall“, „Steve Jobs“ und „Unter der Haut“

„Stonewall“: Roland Emmerichs Ausflug ins Historiendrama mit Posterboy

Mit Roland Emmerich assoziiert man sofort seine Hollywood-Action-Blockbuster von „Independence Day“ über „Godzilla“ bis „The Day after Tomorrow“.

Gelingt ihm der Ausflug in das ungewohnte Genre des zeithistorischen Gesellschaftsdramas? Die Antwort lautet: leider nur ansatzweise. Emmerich und sein Drehbuchautor Jon Robin Baitz reißen in „Stonewall“ zu viele Nebenstränge an. Im Zentrum des Films stehen die legendären Proteste in der New Yorker Christopher Street vor der Stonewall-Bar, bei denen sich Homo- und Transsexuelle im Juni 1969 gegen Polizeigewalt, Razzien und Diskriminierung wehrten. Weltweit wird mit den großen CSD-Paraden an diesen Stonewall-Aufstand erinnert.

Emmerich wollte den damaligen Aktivisten ein filmisches Denkmal setzen. Leider kleistert er seine filmische Zeitreise süßlich zu, das Multiplex-Popcorn-Kino-Publikum fest im Blick. Diesem Zweck dient auch, dass er einen fiktiven Hauptdarsteller dazuerfindet. Der britische Schauspieler Jeremy Irvine spielt Danny, der als Junge vom Land (aus Kansas) in die Metropole kommt und sich in einer Gruppe aus Transgender-Freunden, Strichern und Aktivisten durch sein Coming-out kämpfen muss.

In den USA wurde heftig kritisiert, dass dieser Posterboy der Revolte eine Geschichtsklitterung sei und die Latinos, Schwarzen und Transsexuellen, die den Widerstand von Stonewall nach Zeitzeugenberichten tatsächlich anführten, „historisch enteignet“. Nach Boykott-Aufrufen wurde der Film in den USA ein Flop.

Außerdem tut es dem Film nicht gut, dass er sich zwischendurch verzettelt: der Hauptdarsteller wird plötzlich von der Mafia entführt und zur Prostitution gezwungen. Der Kriminebenstrang fügt sich aber nicht recht in die Haupthandlung ein, sondern endet im Nirwana.

So endet Emmerichs ambitionierter Ausflug ins Drama-Fach zwiespältig. Dem Film ist zwar anzumerken, dass er für den Regisseur ein Herzensanliegen war. Als die Finanzierung des Projekts in Hollywood stockte, steckte der Starregisseur viel eigenes Geld hinein. Ihm fehlten aber die erzählerischen und ästhetischen Mittel, daraus einen überzeugenden Film zu machen. Die Info-Tafeln am Anfang und Ende des Films vermitteln sehr ernsthaft Wissenswertes über die Homophobie der damaligen Zeit (Elektroschocks, berufliches Aus), in den etwas mehr als zwei Stunden, die dazwischen liegen, bleibt der Film aber meist hinter seinen Möglichkeiten zurück.

„Steve Jobs“: kitschige Läuterung eines Egomanen

Diese Kombination großer Namen weckt hohe Erwartungen: das Biopic „Steve Jobs“ hat mit dem von vielen fast schon religiös verehrten Apple-Guru als schillernde Hauptfigur, dem exzellenten Drehbuch-Autor Aaron Sorkin (u.a. „The West Wing“ und „The Social Network“), dem britischen Regisseur Danny Boyle („Trainspotting„), dem herausragenden Charakterdarsteller Michael Fassbender (gerade erst als „Macbeth“ auf der Leinwand zu sehen) in der Titelrolle und Hollywood-Star Kate Winslet als die mütterliche Assistentin Joanna Hoffman von Steve Jobs viele Trümpfe in der Hand.

Leider wird dieses Potenzial in den knapp zwei Stunden kaum genutzt: in kammerspielartiger Verdichtung erleben wir Hinterzimmer-Wortgefechte vor drei großen Produktpräsentationen (1984, 1988, 1998). Die Atmosphäre ist jeweils hypernervös, alle umschwirren den Guru, werden von ihm so sehr gedemütigt, dass sich Horst Seehofer für weitere Parteitagsauftritte von Angela Merkel in der Höhle des bayerischen Löwen noch Lehrmaterial abschauen könnte. Wir erleben Steve Jobs als eiskalten Egomanen, der Weggefährten abserviert, die Tochter genauso auflaufen lässt wie die Assistentin und von seiner historischen Bedeutung, die er mit der Mondlandung vergleicht, so sehr überzeugt, dass es schon sehr bedenkliche Züge annimmt.

Die drei Szenen sind mit unterschiedlichem Film-Material gedreht und durch kurze Filmrisse getrennt, aber ansonsten leider redundant: dasselbe Personal verhandelt dieselben Themen, herumwuselnd, sich anzickend und ständig unter Strom stehend. Das Ganze mündet in eine allzu kitschige Läuterung eines Firmengründers, der nicht nur als verlorener Sohn in den Mutterkonzern zurückkehrt, der ohne ihn kurz vor dem Ruin stand, sondern auch plötzlich Zeit für die Sorgen der Tochter hat.

„Unter der Haut“: ein stiller Film mit Ursina Lardi

Zwischen all den großen Namen und den Blockbustern dieses Kinoherbstes droht ein sehenswerter kleiner Debütfilm aus der Schweiz unterzugehen: Claudia Lorenz beschreibt in „Unter der Haut“, wie die Ehe von Alice (Ursina Lardi) und Frank (Dominique Jann) zerbricht.

Der Film erzählt aus der Perspektive von Alice, wie sie auf dem gemeinsamen Rechner der Familie ein schwules Dating-Portal findet und zunächst den pubertierenden Sohn Luca (Florin Giger) dahinter vermutet.

In stimmigen Dialogen schildert der Film die Ehekrise, die ihren Lauf nimmt, als Alice erfährt, dass sich ihr Mann, mit dem sie seit zwanzig Jahren verheiratet ist, in einen anderen Mann verliebt hat: Pablo (Antonio Buíl).

Der Film vermeidet es geschickt, in Kolportage und Klischees abzudriften, und reüssierte deshalb auf mehreren Festivals wie beim Max-Ophüls-Wettbewerb in Saarbrücken. Ursina Lardi ist außerdem als Beste Hauptdarstellerin für den Schweizer Filmpreis nominiert.

„Unter der Haut“ startete mit nur wenigen Kopien in den Programmkinos und ist ein TV-Tipp für die Kultursender und Dritten Programme, in denen er vermutlich bald zu sehen sein wird.

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