Blicke zurück im Zorn? „Testament“ von She She Pop und Michael Eberths Theatertagebücher „Einheit“

An den Berliner Theatern waren Anfang der Woche zwei Abende zu erleben, die auf sehr unterschiedliche Arten versuchten, persönliche Konflikte aufzuarbeiten und Vergangenheit zu bewältigen.

„Vergangenheitsbewältigung“: Bei diesem Begriff assoziieren viele bleierne Schwere, wie sie im Saal des Deutschen Theaters herrschte. Bei der Buchvorstellung von „Einheit. Berliner Theatertagebücher 91-96“ prallten zwei Lager unversöhnlich aufeinander, die sich tief verletzt fühlten: Scharfe Töne, persönliche Vorwürfe und alte Schlachten, die zwanzig Jahre später noch einmal geschlagen wurden, machten diesen Abend zu einem unangenehmen Erlebnis.

Nach einer kurzen Einführung der DT-Chefdramaturgin Sonja Anders las Ensemble-Mitglied Jörg Pose aus den Tagebuchaufzeichnungen von Michael Eberth, der kurz nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ihr Vorgänger als Chefdramaturg während der Ära von Thomas Langhoff war.

Diese Erinnerungen sind bittere, polemische Abrechnungen eines Mannes, der sich nach Stationen in der Bundesrepublik (u.a. Münchner Kammerspiele) und Österreich (u.a. Wiener Burgtheater) in Berlin zwischen 1991 und 1996 völlig fremd fühlte. Er schimpft über ein „DDR-Nostalgiezentrum“, das ästhetisch angestaubt und in bloßem Virtuosentum erstarrt sei. Er fühlt sich isoliert, gemobbt und von Stasi-Seilschaften und alten Kadern umgeben.

In seiner Rezension für die Berliner Zeitung warf Stephan Suschke dem Autor vor: „Dabei ist er immer etwas zu persönlich, zu distanzlos.“ Und in diesem Stil endet leider auch der Abend in gegenseitigen, giftigen Vorwürfen. „Anmaßung“, „Halbwahrheiten“, „Häme“ und „Zorn“ sind die Stichworte, die aus diesen wütenden Redegefechten in Erinnerung bleiben.

Sehr persönlich geht es in dieser Woche auch im Hebbel am Ufer (HAU 2) zu. Das Performance-Kollektiv She She Pop kehrt gemeinsam mit ihren Vätern zur letzten Berliner Wiederaufnahme von „Testament“ zurück, das 2010 hier Premiere feierte und ein Jahr später zum Theatertreffen eingeladen war.

Ausgehend von Shakespeares „Lear“ verhandeln die Töchter (Mieke Matzke und Ilia Papatheodorou) und der Sohn (Sebastian Bark) aus dem „She She Pop“-Kollektiv das schwierige Verhältnis zu ihren Vätern.

Immer wieder werden Ausschnitte aus den Proben im Sommer/Herbst 2009 dazwischengeschoben/nachgespielt: den Vätern ist das deutliche Unbehagen anzumerken, so persönliche, familiäre Angelegenheiten als Seelenstriptease auf offener Bühne zu verhandeln. Ihnen ist auch der gesamte Ansatz ihrer Kinder suspekt: Mit den Regisseuren Peter Stein, Giorgio Strehler oder Peter Brook können sie viel mehr anfangen als mit den Auftritten ihres Nachwuchses.

Obwohl sich „Testament“ mit sehr intimen Fragen auseinandersetzt, sie sogar frontal und mit offenem Visier angeht, lässt der Abend allen Beteiligten ihre Würde. Er hält die Balance, spart ernste Themen wie die Pflege der in einigen Jahren vielleicht bettlägerigen oder gar dementen Eltern nicht aus, zwingt zur Auseinandersetzung mit Fragen, die man im Alltag gerne wegschiebt, bietet aber immer wieder auch komische Momente. Ein Beispiel ist die minutiös mit Taschenrechner kalkulierte Aufstellung von „Enkelzeit“: die kinderlosen Performer rechnen nach, wie viel die 68-Eltern-Generation in ihre Enkel investiert: vom Baby-Sitting über gemeinsame Ausflüge in Zoo oder Kino bis zu kleinen Geschenken.

„Testament“ ist bis Sonntag noch drei Mal in Berlin zu erleben: ein nachdenklicher Abend, der in seinen vielen, ausufernden Facetten zwischen Zukunftsvisionen, Retrospektive, kleinen Slapstick-Nummern und Songs manchmal etwas zu beliebig zu werden droht, aber doch stets zu seinem Thema zurückfindet: dem Gespräch auf Augenhöhe zwischen zwei Generationen über das Älterwerden, über das Erben und über den Tod. Nicht zuletzt auch über die vielen kleinen Verletzungen, die sie sich in den vergangenen Jahrzehnten mal mehr, mal weniger bewusst zugefügt haben.

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