RAF-Vorgeschichte und Richter unter Beschuss

An Filmen und Büchern über die Entwicklung der RAF herrschte in den vergangenen Jahren gewiss kein Mangel. Kann der Wettbewerbs-Beitrag Wer wenn nicht wir überhaupt noch neue Facetten beleuchten?

Man durfte aus zwei Gründen dennoch auf diesen Film gespannt sein: Der Regisseur Andres Veiel machte 2001 mit der sehr reflektierten und gut recherchierten Dokumentation Black Box BRD über den Mord an Deutsche Bank-Chef Herrhausen auf sich aufmerksam. Immerhin ist er ein Filmemacher, der sich Zeit nimmt, genau hinzuschauen und Zusammenhänge zu beleuchten. Außerdem erzählt Veiel in Wer wenn nicht wir nicht von der Hochphase des Deutschen Herbstes, sondern zeigt die Entwicklung von Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis).

Als Pastorentochter aus einem schwäbischen Elternhaus lernt sie an der Uni Bernward Vesper (August Diehl), den Sohn des umstrittenen Blut- und Boden-Dichters Will Vesper, kennen. Der Spielfilm hangelt sich an den vielen Berichten über die Höhen und Tiefen dieses Paares entlang. So oder so ähnlich mag es gewesen sein, als Ensslin und Vesper in einem selbstgegründeten Verlag erfolglos versuchten, die Bücher Will Vespers wieder aufzulegen.

Der Programmkatalog spricht treffend von einer "extremen Liebesgeschichte": Die beiden treiben sich schier an die Schmerzgrenze, betrügen sich mit anderen Partnern, versöhnen sich wieder, ziehen nach West-Berlin und engagieren sich für die SPD, während Ensslin an ihrer literaturwissenschaftlichen Dissertation arbeitet.

Kurze Filmschnipsel über die Notstandsgesetze, den Schah-Besuch und das Attentat auf Rudi Dutschke werden dazwischengeschnitten: Die Studentenproteste werden lauter und der kraftstrotzende, großmäulige Andreas Baader (Alexander Fehling) tritt in Gudrun Ensslins Leben. Sie verlässt Mann und Kind, Ensslin und Baader radikalisieren sich immer mehr und beginnen mit Aktionen wie dem Kaufhausbrandanschlag in Frankfurt/Main. Vesper verliert sich in Verzweiflung und Drogentrips und begeht 1971 Suizid.

Die Chronologie dieser scheiternden Biographien erzählt der Regisseur recht brav in etwas mehr als zwei Stunden. Andres Veiel war aber nicht gut beraten, sich diesem Thema in seinem Spielfimdebüt zu widmen. Als Dokumentarfilmer hat er sich einen Namen gemacht, Die Spielwütigen war der Publikumsliebling der Berlinale 2003 und neben Black Box BRD zeigte er auch in Kick, dass er sich komplexen Themen einfühlsam nähern kann.

Die prominenten Figuren der Zeitgeschichte bleiben diesmal seltsam blass und vor allem im letzten Drittel verlassen doch einige Besucher die Vorführung.

Ein weiterer sehr politischer Beitrag lief als Berlinale Special: Die spanische Regisseurin Isabel Coixet, die schon mit mehreren Filmen im Wettbewerb vertreten war, setzte ein Interview mit dem Ermittlungsrichter Baltasar Garzón in Szene. Er wurde durch den internationale Haftbefehl, der 1998 zum Hausarrest des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet in London führte, weltbekannt und prägte die Entwicklung zu einer internationalen Strafgerichtsbarkeit entscheidend mit.

Escuchando al Juez Garzón ist ein minimalistischer Film: Die Kamera richtet sich auf das Interview, das Manuel Rivas im Dezember 2010 mit Garzón führte. Aus acht Stunden Material wurde dann eine Filmfassung von 90 Minuten erstellt. Da die Dokumentation auch noch komplett in Schwarz-Weiß gehalten ist, erinnert die ganze Ästhetik sehr an Fernsehinterviews der 60er Jahre, wie sie z.B. Günter Gaus führte.

Inhaltlich ist der Beitrag interessant, aber zu voraussetzungsreich: In schnellem Tempo werden Garzóns Ermittlungen gegen die ETA, der Fall Pinochet und ähnliche Auseinandersetzungen mit der argentinischen Militärjunta besprochen. Der Schluss des Gesprächs konzentriert sich ganz auf drei Verfahren, die im vergangenen Jahr wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung gegen Garzón eingeleitet wurden.

An der Stelle wurde es endgültig zu komplex: Die beiden Interviewpartner warfen nur so mit Fachbegriffen aus dem spanischen Prozessrecht um sich. Der Film setzt zu viel voraus.

Garzón und sein Interviewpartner sind sich einig, dass es sich bei den Vorwürfen, die zu seiner vorübergehenden Suspendierung führten, um eine Kampagne innenpolitischer Gegner handelt. Er machte sich zuletzt vor allem dadurch Feinde, dass er auch in den Abgründen des Franco-Regimes noch genauer ermitteln wollte.

Die Hintergründe des Rechtsstreits sind von der FAZ schlüssig aufbereitet. Das Film-Interview verzettelt sich dagegen in den undurchsichtigen Details eines der drei aktuellen Verfahren, wo es um finanzielle Vorteile geht, die Garzón bei einem Forschungsaufenthalt an der New York University angeblich erschlichen haben soll.

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