Seit 2003 gibt es am Deutschen Theater immer wieder Sonntags eine feste Institution: Gregor Gysi, der Talkshow-Dauergast und Fraktionschef der Linken, lädt interessante Köpfe aus Politik oder Kultur zu einem zweistündigen Gespräch ans Deutsche Theater Berlin ein. Die Matinee ist fast immer ausverkauft. Die interessantesten Gespräche erschienen nun in einem Sammelband.
Aus diesem Anlass wechselte Gregor Gysi diesmal die Seiten und ließ sich von Jakob Augstein, dem Verleger der sehr lesenswerten Wochenzeitung Der Freitag befragen. Erwartungsgemäß hatte es Augstein trotz seiner unbestrittenenen Eloquenz an manchen Stellen schwer, im Redefluss des Linken-Frontmanns zu Wort kommen, so dass er sich mehrmals mit Handzeichen bemerkbar machen musste.
Gysi wurde in einer privilegierten Familie in der DDR geboren. Sein Vater war als überzeugter Kommunist im Widerstand gegen die Nazis in Frankreich und Berlin aktiv. Er half beim Aufbau des real existierenden Sozialismus mit, ging zum Stalinismus mehr und mehr auf Distanz, blieb aber als Staatssekretär für Kirchenfragen und Botschafter in Italien dem SED-Machtapparat letztlich loyal. Im Hause Gysi gingen neben Politikern auch Künstler ein und aus: seine Tante ist die Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing, seine Schwester ist umstrittene Dramaturgin an der Berliner Volksbühne.
Gysi berichtete ausführlich über die engen Spielräume als Rechtsanwalt zu DDR-Zeiten, wo er sich vor allem auf die Finessen des Prozessrechts spezialisierte, um für seine Mandanten etwas zu erreichen. Die von den Medien ausführlich diskutierten Prozesse gegen die Regime-Gegner Bahro und Havemann waren an diesem Abend ebenso Thema wie die seit fast zwei Jahrzehnten tobende Prozess-Schlacht um die Frage, ob er in Stasi-Tätigkeiten verstrickt war.
Augstein und Gysi schlugen den Bogen schließlich in die jüngere Vergangenheit: Die PDS war schon fast abgeschrieben und nur noch mit den beiden Direktmandats-Gewinnerinnen Petra Pau und Gesine Lötzsch im Bundestag vertreten, bis ihr die Proteste gegen Schröders Agenda 2010 und die Einführung von Hartz IV neuen Zulauf und Rekordergebnisse bei der Bundestagswahl 2009 bescherten.
Gysi zeigte sich sichtlich ungehalten über den innerparteilichen Grabenkrieg in seiner Partei, die seitdem in den Umfragen abstürzte und fand deutliche Worte zu den ungeschickten Aktionen des Parteivorsitzenden-Duos sowie dem Hang zur Selbstbeschäftigung und Selbstzerfleischung von strömungs-Protagonisten momentan in den Medien eher belächelt wird. Zur Frage, die am Wochenende die Medien bewegte, ob Sahra Wagenknecht als Frontfrau des linken Parteiflügels demnächst zu seiner Co-Vorsitzenden in der LINKEN Bundestagsfraktion gewählt wird, äußerte er sich auch hier nur sehr reserviert und ausweichend.