Berechtigte Kritik hagelte es in den vergangenen Jahren für zweifelhafte und uninteressante Beiträge im prestigeträchtigen Wettbewerb um die Goldenen Bären. Deshalb ist es erfreulich, dass der 2013 sehr vielversprechend begann, unter den ersten Beiträgen gab es keinen Totalausfall, sondern einige bemerkenswerte Filme.
Höhepunkt des ersten Wochenendes war Gus van Sants Öko-Polit-Drama Promised Land, das ein brisantes politisches Drama auf ansprechendem künstlerischem Niveau verhandelt. Der Film packt ein heißes Eisen an: Die Obama-Administration setzt auf eine neue Methode zur Energiegewinnung. Um unabhängig von den Öl-Reserven aus Irak oder Saudi-Arabien zu werden, wird massiv in die Fracking-Technologie investiert. Über die Risiken des Aufbrechens von Schieferschichten wird auch zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb in Deutschland seit einiger Zeit diskutiert, Bürgerinitiativen und Umweltverbände bezogen mit Transparenten vor dem Berlinale-Palast Position.
Matt Damon, der auch Co-Produzent des Films ist und am Drehbuch mitgeschrieben hat, spielt die Hauptrolle des aufstrebenden Steve Butler, der im Auftrag des fiktiven Global-Konzerns im Mittleren Westen der USA Farmland aufkaufen soll. Gemeinsam mit seiner schrulligen Assistentin Sue Thomason (gespielt von Frances McDormand, die vor allem aus den Filmen der Coen-Brüder bekannt ist) macht er sich daran, den verarmten Bauern ihre Grundstücke zu Spottpreisen abzuluchsen. Der Film überzeugt durch seinen subtilen Humor und seine doppelbödige Handlung, die sich im Lauf des Dramas entspinnt.
Sehenswert ist auch Malgoska Szumowskas W imie (In the name of), der in Polen bereits für heftige Kontroversen führte. Konservative, katholische Milieus empören sich über die Darstellung des Priesters Adam, der in einem kleinen Dorf mit schwer erziehbaren Jugendlichen arbeitet und sich seine Homosexualität eingestehen muss. In dicht inszenierten Momenten zeigt Szumowaska das Ringen ihrer Hauptperson und das hilflose Lavieren des Bischofs. Überzeugend ist vor allem ihre einfühlsame Musikauswahl, mit der sie ihren Film begleitet.
Ulrich Seidl erreicht zum Abschluss seiner Paradies-Trilogie zwar nicht mehr das Niveau der ersten beiden Teile, die auf den Festivals in Cannes und Venedig liefen. Sein bitterböser Blick auf ein Diätcamp für Jugendliche hat aber dennoch den erfrischenden Biss, der viele neue österreichische Filme auszeichnet. Obwohl Paradies: Hoffnung kein Favorit auf die Bären ist, lohnt es sich, ihn anzusehen.
Interessantes war zum Start ins Wochenende auch in den Nebenreihen zu sehen. Zur Eröffnung der Perspektive Deutsches Kino überzeugte Stephan Lacants SWR-Koproduktion Freier Fall. Die Handlung war in ähnlichen Varianten schon häufiger auf Leinwänden zu sehen. Zwei Polizisten entdecken, dass es zwischen ihnen knistert. Marc (Hanno Koffler) verdrängt die Entscheidung zwischen seiner Kleinfamilie mit Bettina (Katharina Schüttler) und der Affäre mit Kay (Max Riemelt), bis er den Boden unter den Füßen verliert. Die beeindruckenden Leistungen der drei jungen Hauptdarsteller, die schon in früheren Kino- und Theaterrollen überzeugten, tragen diesen Film. Wunderbar ist auch Maren Kroymann in ihrer kleinen Rolle als Marcs Mutter.
Politisch engagiert ist der Panorama-Spielfilm Rock the Casbah von Yariv Horowitz. Er schildert, wie hilflos junge israelische Wehrpflichtige der Gewaltspirale im Nahost-Konflikt ausgeliefert sind, und verarbeitet darin seine Erlebnisse, als er 1989 in den palästinensischen Gebieten eingesetzt wurde. Leider hat das Thema seitdem nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Seinem temporeichen und ästhetisch gefilmten Beitrag merkt man an, dass sich Horowitz bisher auf Musikvideos und Werbeclips konzentrierte. Sein Film versucht gar nicht erst, die politischen Hintergründe des Konflikts zu analysieren, sondern konzentriert sich ganz auf die recht gelungene Schilderung dieser Extremsituation und wie die jungen Soldaten damit umgehen. Der titelgebende Song von The Clash ertönt aus einem Radio auf dem Dach eines Hauses in Gaza, wo die israelische Armee ihren Posten bezogen hat.
Die Bildrechte liegen bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin.