Was hat ein Film mit Til Schweiger auf einem ernstzunehmenden Festival verloren? Über diese und ähnliche Fragen wurde zwei Tage lange auf der Berlinale gegrübelt, während im Wettbewerb das Mittelmaß regierte. Erst am Dienstag standen wieder zwei bemerkenswerte Filme im Berlinale-Palast auf dem Programm:
Zu den Höhepunkten des Wettbewerbs zählen fast jedes Jahr die Beiträge aus dem Iran. Diesmal ist Pardé (Closed Curtain) von Jafar Panahi ein Anwärter auf die Bären. Sein Film funktioniert auf zwei Ebenen: Zunächst wähnt sich der Zuschauer in einem klaustrophobischen Drama. Ein Mann schottet sich in seiner Villa ab, zieht alle Vorhänge zu und achtet panisch darauf, dass sein Hund nicht entdeckt wird, da diese in seinem Land mittlerweile als „unreine Tiere“ verboten sind. Plötzlich tauchen ein Mann und eine Frau auf, die auf der Flucht vor Polizei oder Sicherheitskräften in sein Haus eindringen. Unschwer lässt sich erkennen, dass der regimekritische Regisseur mit dieser Parabel auf die Zustände unter dem iranischen Mullah-Regime anspielt. Nach einer Stunde tut sich aber eine zweite Ebene auf: Das bisherige Geschehen entpuppt sich als Film im Film, der Regisseur tritt selbst auf die Leinwand und wird von seinen Figuren beim Schreiben und in seinem Alltag beobachtet. Seit seinem bemerkenswerten Film Offside, der 2006 einen Silbernen Bären gewann, häuften sich Panahis Schwierigkeiten mit dem Regime. Ein Gericht verurteilte ihn zu Hausarrest und Ausreiseverbot, er konnte nur unter schwersten Bedingungen weiterarbeiten. Diese prekären Arbeitsbedingungen thematisiert Panahi in seinem neuesten Film, den er trotz Berufsverbots heimlich mit Kamboziya Partovi drehte. Da einige Passagen der mehrdimensionalen Handlung auf den ersten Blick unzugänglich waren, erntete der Film neben freundlichem Applaus auch einige Buh-Rufe. Dennoch ist es lohnenswert, dieses neue Werk eines der wichtigsten iranischen Regisseure anzusehen und sich mit seinen politischen und cineastischen Botschaften zu befassen.
Mit Spannung wurde auch der neue Film von Steven Soderbergh erwartet, der ebenfalls schon häufiger auf der Berlinale zu Gast war: Side Effects beginnt als zunächst recht zäher Film über die Behandlung mit Antidepressiva inklusive psychiatrischer Fachdiskurse zweier Hollywoodstars (Jude Law als Dr. Banks, Catherine Zeta-Jones als Dr. Siebert). Daraus entwickelt sich eine raffinierte Thriller-Handlung, die sich in Seitensträngen mit dem Insiderhandel an Börsen und Korruption in der Pharmabranche beschäftigt. Manche Wendungen des Plots wirken allerdings etwas zu gewagt und sehr konstruiert. Unter dem Strich gelang Soderbergh ein unterhaltsamer Genre-Film, der zwar nicht an frühe Meisterwerke heranreicht, aber stärker ist als manche seiner Flops wie z.B. Haywire im vergangenen Jahr.
Zumindest einige gute Ansätze waren in Calin Peter Netzers rumänischem Wettbewerbsbeitrag Pozitia Copilului (Child´s pose) zu konstatieren. Luminita Gheorghiu spielt eine vermögende Frau, die wie eine Löwin und zugleich skrupellos darum kämpft, dass ihr Sohn straflos davon kommt, obwohl er bei viel zu hoher Geschwindigkeit ein Kind totgefahren hat. Die Grundidee des Drehbuchs, an dem der junge Regisseur auch selbst mitgeschrieben hat, ist vielversprechend, starke Szenen und Dialoge wechseln sich mit schwächeren Passagen ab, denen eine stärkere Komprimierung gutgetan hätte. Überzeugend thematisiert der Film das Phänomen der Korruption: Mit Pelzmantel, protzigen Ringen und besten Beziehungen zu den Reichen und Mächtigen will sich die Hauptdarstellerin Falschaussagen von Zeugen zu kaufen, bei der Polizei hat sie recht leichtes Spiel, erst bei den Eltern des getöteten Kindes beißt sie auf Granit. Zu Gianna Nanninis Song Meravigliosa creatura bricht sie am Ende in Tränen aus.