Sehenswertes Autorenkino: „Die Jagd“ und „Paradies: Glaube“

Seit Ende März laufen zwei sehenswerte Filme renommierter europäischer Autorenfilmer in den deutschen Kinos, die bereits im vergangenen Jahr auf den Filmfestivals in Cannes und Venedig mit Kritikerlob und Jury-Preisen ausgezeichnet wurden.

Der Däne Thomas Vinterberg machte 1998 mit dem Missbrauchs-Drama Das Fest über einen Patriarchen auf sich aufmerksam, der auf seiner Geburtstagsfeier vor der versammelten Verwandtschaft von seinem Sohn mit den jahrzehntelang unter den Teppich gekehrten Vorwürfen konfrontiert wird. Mit seinem neuen Film Die Jagd kehrt er zu diesem brisanten Thema zurück. Diesmal wechselt er jedoch den Blickwinkel: Lucas arbeitet als Erzieher in einem Kindergarten und wird zu Unrecht des Missbrauchs beschuldigt. In den ersten Sequenzen des Films sieht man, wie gut er mit den Kindern umgehen kann und wie er nach der Trennung von seiner Frau und einem früheren Jobverlust langsam wieder Tritt fasst. Klara, die kleine Tochter eine Freundes, fühlt sich eines Tages von ihm gekränkt und löst mit einer zweideutigen Bemerkung eine Lawine aus. Die Leiterin des Kindergartens ist zurecht alarmiert und geht dem Vorwurf des Missbrauchs nach, die Situation spitzt sich zu, als Klara unter dem Druck der Fragen der Erwachsenen eine Missbrauchsgeschichte erfindet. 

In dem kleinen Ort wird Lukas zum Geächteten: Er verliert die Stelle im Kindergarten, seine Freunde wenden sich von ihm ab. Als Klara zurückrudert und den Vorfall als erfunden bezeichnet, ist die Lage so verfahren, dass ihr niemand mehr glaubt. Thomas Vinterberg gelang ein beklemmendes Drama über einen Mann, der in eine ausweglose Situation gerät, herausragend dargestellt von Mads Mikkelsen, der dafür in Cannes als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde. "Egal, was Lucas tut, ob er schweigt, seine Unschuld beteuert oder wütend wird, es scheint, als ziehe sich die Schlinge um seinen Hals immer weiter zu", heißt es treffend im Programmheft.

Manche Rezensionen warfen Vinterberg vor, dass er das Thema Missbrauch verharmlose. Dieser Vorwurf ist ungerecht, wenn mein sein Werk betrachtet: Lange vor der Debatte um die Fälle in meist katholischen Internaten wies er schon Ende der 1990er im oben erwähnten Film auf die blinden Flecken unserer Gesellschaft hin. Auch Die Jagd ist nicht auf billige Stimmungsmache aus, sondern widmet sich seinem schwierigen Stoff behutsam.

Für gesellschaftliche Kontroversen ist auch der zweite Regisseur gut, der in diesem Beitrag beleuchtet werden soll: Der Österreicher Ulrich Seidl arbeitete in den vergangenen Jahren an seiner Paradies-Trilogie. Der letzte Teil Paradies: Hoffnung wurde hier bereits anlässlich seiner Weltpremiere auf der Berlinale 2013 beleuchtet. Überzeugender als dieser Film ist jedoch der mittlere Teil der Trilogie Paradies: Glaube, der im vergangenen Jahr beim Filmfestival in Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde.

Auch dieser Film lebt von seiner genauen Beobachtungsgabe, seinem Gespür für eine gelungene Dramaturgie und einer exzellenten Hauptdarstellerin: Maria Hofstätter spielt eine Krankenschwester, die ihr Leben der Madonnen- und Jesusverehrung verschrieben hat und in Wien für ihren Glauben missioniert. Gnadenlos zeigt der Film, wie sich die Frau immer tiefer in ihren religiösen Fundamentalismus hineinsteigert, sich selbst kasteit, in Wohnzimmern Rentnerpaaren und Sozialhilfeempfängern ihr sündiges Leben vorwirft und in der zweiten Hälfte des Filmes mit ihrem muslimischen, nach einem Unfall querschnittsgelähmten Ex-Mann einen zermürbenden Kleinkrieg führt. Der bittere Humor und der scharfe Blick dieses gelungenen Gesellschaftsporträts werden in Erinnerung bleiben. Paradies: Glaube beruht auf einer wahren Begebenheit, auf die Seidl bei der Arbeit an seiner Dokumentation Jesus, Du weißt im Jahr 2003 stieß.

Paradies: Glaube startete am 21. März in den Kinos.

Die Jagd ist seit 28. März zu sehen.

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