Der Frankokanadier Xavier Dolan ist nicht nur einer der begabtesten jungen Regisseure, sondern auch einer der produktivsten. Als Regisseur/Drehbuchautor/Hauptdarsteller reiht er einen bemerkenswerten Film an den nächsten und überholt sich dabei manchmal selbst. Sein 5. Film Mommy wurde im Mai in Cannes mit einem Regiepreis ausgezeichnet, noch bevor sein 4. Film Sag nicht, wer Du bist! (im Original: Tom à la ferme nach dem gleichnamigen Theaterstück von Michel-Marc Bouchard).
Sag nicht, wer Du bist! ist ein düsterer, streckenweise brutaler Psychothriller, der sich deutlich von den bunten, liebevoll-komischen bisherigen Werken Dolans abhebt. Tom (gespielt von Dolan selbst, neuerdings mit blondierten Haaren und Brille) landet im herbstlich-grauen Nirgendwo auf einem einsamen Bauernhof. Sein Freund ist gestorben, die bieder-konservative Mutter wusste aber nichts von der Homosexualität, geschweige denn von der Beziehung ihres Sohnes Guillaume zu Tom in Montreal. Sie geht davon aus, dass er mit der Blondine Sarah liiert ist.
An dieser Stelle kommt Guillaumes finster-brutaler, homophober Bruder Francis ins Spiel: er verwickelt Tom in ein Geflecht aus Abhängigkeit, Machtspielen, die auch mal blutig enden, und uneingestandenem Begehren.
Der Psychothriller orientiert sich an den großen Vorbildern Hitchcock (mit einer Hommage an die Duschszene aus Psycho) und Chabrol, trägt aber oft zu dick auf. Exemplarisch dafür stehen die dräuende Musik und die toten Kühe, die als aufdringliches Leitmotiv über den Boden gezerrt werden.
In manchen Szenen blitzt Dolans Begabung für Rhythmus und geschickt arrangierte Blicke, die mehr als tausend Worte sagen, auf. Das gilt besonders für die Sequenzen in der Küche nach der Ankunft der Alibi-Freundin Sarah, als sich das Kammerspiel-Trio zum Quartett erweitert.
Fazit: Mit dem Ausflug ins Thriller-Genre wurde Xavier Dolan nicht 100 % glücklich, deshalb darf man schon auf seinen 5. Film gespannt sein, mit dem er zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist.
Sag nicht, wer Du bist! startet am 21. August 2014 in den deutschen Kinos.
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