Eine reizvolle politische Kombination gab es an diesem Wochenende bei der Matinee des Deutschen Theaters Berlin zu erleben: Oppositionsführer Gregor Gysi, Fraktionschef der LINKEN, traf auf das FDP-Urgestein Gerhart Baum. Obwohl Sozialisation und Weltanschauung der beiden Rechtsanwälte sehr unterschiedlich ist, waren sie sich in zwei Punkten völlig einig: Wortreich beklagten sie, dass es eine „Schande“ sei, wie „duckmäuserisch“ sich die Bundesregierung in der NSA-Snowden-Affäre verhalte. Der Bundesinnenminister a.D. (während der sozialliberalen Ära von 1978 – 1982 im Amt) Baum äußerte die Vermutung, dass der BND viel enger mit den US-Diensten kooperiere, als es öffentlich bekannt ist.
Das zweite Thema, über das sich Baum und Gysi ereiferten, war die Verengung des politischen Liberalismus auf reinen Wirtschaftsliberalismus und Klientelpolitik für Besserverdienende, welche die FDP vor einem Jahr in die außerparlamentarische Opposition katapultierte. Gerhart Baum war maßgeblich an der Entwicklung der Freiburger Thesen (1971) beteiligt, musste jedoch miterleben, wie Otto Graf Lambsdorff 1981/82 geschickt den Bruch der Regierung Schmidt/Genscher betrieb und den sozialliberalen Flügel düpierte. Enge Weggefährten wie Ingrid Matthäus-Maier und Günter Verheugen wechselten enttäuscht zur SPD. Baum und sein Kollege Burkhard Hirsch hielten – später vor allem auch von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger unterstützt – das Fähnchen als Bürgerrechtspartei hoch, waren dabei während der Kohl-Ära aber oft auf verlorenem Posten.
Als er im politischen Abseits gelandet war, verlegte sich Baum auf den Rechtsweg vor dem Bundesverfassungsgericht: In den letzten Minuten fragte Gysi stakkatoartig die Serie von erfolgreichen Verfassungsbeschwerden zum Lauschangriff, zur Online-Durchsuchung, zur Vorratsdatenspeicherung etc. ab, mit denen Baum und seine Mitstreiter der Bundesregierung in Karlsruhe mehrere empfindliche Niederlagen zufügten und den nach 9/11 verschärften Sicherheitsgesetzen einige Zähne zogen.
Darüber hinaus erfuhr das Publikum auch Interessantes über den Werdegang des Politikers, der von Heinrich Böll als „bester Innenminister, den wir je hatten“, gerühmt wurde: Bereits Großvater und Vater waren Juristen, beide kamen aus den Weltkriegen nicht mehr zurück. Nach den Bombenangriffen im Februar 1945 auf Dresden floh Baums Mutter mit dem Jugendlichen und den sechs Jahre jüngeren Zwillingen an den Tegernsee, bevor sie sich in Köln eine neue Existenz aufbauten, wo Baum bis heute lebt und in einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei mitarbeitet, die auf Verbraucher- und Anlegerschutz spezialiert ist. Er betonte, dass ihm vor allem die Mandate von russischen Zwangsarbeitern ein wichtiges Anliegen sind, da er mit dem Verhandlungsergebnis, das sein alter Widersacher Graf Lambsdorff aushandelte, völlig unzufrieden ist.