Yael Ronens Balkan-Kriegs-Erinnerung „Common Ground“ am Gorki zwischen berührenden Momenten, Pop-Kultur-Rückblick und Pausenclown

Yael Ronens Common Ground beginnt und endet mit einem Auftritt von Orit Nahmias: die 1977 in Jerusalem geborene Schauspielerin hatte auch schon in Dritte Generation an der Schaubühne eine tragende Rolle. Selbstironisch empfiehlt sie sich deshalb als Expertin für verfahrene politische und ethnische Konflikte, als gebürtige Israelin sei sie angesichts der unentwirrbar-verknäuelt erscheinenden Lage in Nahost dafür prädestiniert. Ihr Monolog wird durch Niels Bormann unterbrochen, der – ähnlich wie in Dritte Generation – die Rolle eines um politische Korrektheit bemühten, aber dabei nur tölpelhaft mit Anlauf in alle Fettnäpfchen springenden Deutschen spielt.

Common Ground erinnert nicht nur in diesen Momenten an Dritte Generation, sondern hat auch dasselbe Grundproblem, diesmal sogar in verschärfter Form: überzeugende, berührende Szenen wechseln völlig unvermittelt mit platten Pausenclownerien ab, für die meist Niels Bormann zuständig ist und damit zunehmend nervt.

2008 ging es in Dritte Generation um den Blick von Juden, Palästinensern und Deutschen auf den Nahen Osten, diesmal wendet sich Regisseurin Ronen mit ihrem Ensemble den Balkan-Kriegen in den 1990er Jahren zu. Bis auf zwei Schauspieler haben alle Akteure familiäre Bindungen an den auseinandergefallenen Vielvölkerstaat Jugoslawien: Sie sind in Sarajevo, Novi Sad oder Belgrad geboren und leben mittlerweile in Berlin.

Die stärksten Momente dieses nur teilweise gelungenen Abends sind zu erleben, als sie sich aus ihren unterschiedlichen Blickwinkeln an ihre Kindheit und Jugend erinnern. Zwei junge, fast gleichaltrige Schauspielerinnen stellen fest, dass sie aus derselben Kleinstadt kommen: der Vater der einen war als Aufseher in einem Lager auf der Seite der Täter, die andere beklagt, dass sie den Verlust ihres Vaters an keinem Grab betrauern kann, da seine Leiche in einem der Massengräber verscharrt wurde. Eine gelungene Szene ist auch Dejan Bućins Aufschlüsselung seiner Herkunft: Großeltern, Eltern, Onkel und Tanten heirateten und zogen quer durch alle Teile des damaligen jugoslawischen Staatsgebiets. Klar ist: er ist gebürtiger Belgrader. Aber was ist er: Kroate? Serbe? Montenegriner? Bosnier?

Hitzig wird es auf der Bühne, als sich die Schauspieler auf ihrer gemeinsamen Recherche-Reise ins drei Jahre eingekesselte und wieder aufgebaute Sarajevo und ins Lager Omarska in ein Wortgefecht hineinsteigern: Warum wurden vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag fast nur serbische Kriegsverbrecher angeklagt? Warum wurde dagegen Franjo Tudjman als kroatischer Staatspräsident international respektiert, fragt ein Schauspieler?

In diesen Kernpassagen des Abends bietet der Abend reichlich Stoff zum Nachdenken, die Schauspieler treiben sich in den gut arrangierten Dialogen zu beeindruckenden Leistungen. Dies wäre noch wirkungsvoller gewesen, wenn Yael Ronen und ihr Ensemble auf peinliche Mätzchen verzichtet hätten. Tiefpunkt ist ein weiterer Auftritt von Niels Bormann, der darüber spekuliert, ob die Kriegsgefangenen gar nicht bei den Massakern getötet, sondern von Außerirdischen entführt worden seien. Damals – Mitte der 90er – habe es ja auch die Serie Akte X auf Pro 7 gegeben, untermauert der seine Thesen.

Positiv hervorzuheben ist dagegen noch die rasante und sehr unterhaltsam gemachte Tour de force durch die frühen 1990er: das Ensemble ruft in kurzen Schnipseln weltpolitische und popkulturelle Ereignisse in Erinnerung. Der Balkan ging in Flammen auf, aber das Leben ging weiter, so oder ähnlich erinnern sich wohl die meisten nicht direkt vom Krieg Betroffenen an die Zeit: Steffi Graf gewann ihre Tennis-Matches, im Radio liefen Ace of Base und Bryan Adams, Bill Clinton wurde gewählt und schlitterte in erste Affären, in Deutschland schleppte sich Helmut Kohl durch die letzten Jahre seiner Amtszeit. Als Hintergrundrauschen mischen sich die Berichte über Schüsse auf Sarajevo, Bilder von ausgemergelten Gefangenen und UN-Schutztruppen als Geiseln in die Erinnungssplitter. Das letzte Stichwort dieses knapp halbstündigen Rückblicks ist das Dayton-Abkommen vom August 1995. Die bunten Kostüme und das grelle Licht verschwinden, Stille tritt ein, bis – zunächst tastend und zögernd, dann eindringlicher – die bereits geschilderten autobiographischen Erinnerungen der Schauspieler entfalten.

Ganz zum Schluss tritt wieder Orit Nahmias an die Bühnenrampe und schlägt den Bogen zurück zum Eröffnungs-Monolog: erleichert stellt sie fest, dass nicht nur ihre Heimat im Nahen Osten unter Chaos leidet, sondern auch andere Regionen im Osten von Hass und Konflikten zerrissen sind, die für Außenstehende kaum noch zu verstehen sind und zu dysfunktionalen Gebilden führten. Sie wandelt den berühmten Anfang von Leo Tolstois Anna Karenina ab: Alle glücklichen Nationen ähneln sich in ihrem Glück. Aber jede unglückliche Nation ist auf ihre ganz eigene Art unglücklich.

Common Ground von Yael Ronen & Ensemble am Gorki. Ca. 115 Minuten. Premiere war am 13. März 2014

4 thoughts on “Yael Ronens Balkan-Kriegs-Erinnerung „Common Ground“ am Gorki zwischen berührenden Momenten, Pop-Kultur-Rückblick und Pausenclown

  1. Pingback: “Schnee” sehr frei nach Orhan Pamuk am Gorki: Hessische Pegida-Polonaise statt türkischer Kopftuch-Debatte › kulturblog @ /e-politik.de/: Kunst und Kultur

  2. Pingback: Chinesische „Ghosts“ an der Schaubühne, das Deutsche Theater sucht mit Sketchen nach „Göttern“. Yael Ronen fragt am Gorki: Gibt es Hoffnung für „The Situation“ im Nahen Osten? › kulturblog @ /e-politik.de/

  3. Pingback: No One Survives: ein Holocaust-Überlebender zwischen drei Frauen am Gorki › kulturblog @ /e-politik.de/

  4. Pingback: Denial – Das Kulturblog

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert