Als Joe Ortons Entertaining Mr. Sloane 1964 in London uraufgeführt wurde und wenige Monate später unter dem Titel Seid nett zu Mr. Sloane am Deutschen Schauspielhaus Hamburg herauskam, empfanden es viele Bundesbürger als Provokation. In der kurzen Übergangsphase zwischen den miefig-wohlanständigen Adenauer-50ern und dem Aufbeghren der Studenten 1968 wirkte diese böse funkelnde Komödie wie ein Kulturschock. Zwei Geschwister, die nymophanische Kath und der schwule Ed, versuchten schon lange, ihren Untermieter Mr. Sloane zu verführen. Als Mr. Sloane von ihrem Vater Kemp eines Mordes beschuldigt wird, bringt er ihn um. Die beiden Geschwister nutzen diese Situation und erpressen den attraktiven Mr. Sloane, ihnen jeweils sechs Monate abwechselnd als Liebhaber zur Verfügung zu stehen. Andernfalls würden sie seine Morde bei der Polizei melden.
Wegen der offen thematisierten Homosexualität und der auch sonst für damalige Wertmaßstäbe zu freizügigen Moral wirbelte Orton damals viel Staub auf. Seid nett zu Mr. Sloane war ein Dauerbrenner auf den Bühnen, wurde fürs Fernsehen und das Kino verfilmt, ist heute aber nur noch selten zu sehen. Wie kann man sich diesem Stück nähern, ohne dass es aus der Zeit gefallen wirkt?
Regisseur Nurkan Erpulat entschied sich für eine temporeiche, unterhaltsame Farce: alle Figuren sind überzeichnete Abziehbilder, die ihre Wortgefechte mit selbstironischen Musical-Einlagen unterbrechen. Gorki-Neuzugang Jerry Hoffmann spielt Mr. Sloane als sich unbedarft gebendes 20jähriges Landei. Mareike Beykirch und Aleksandar Radenkovic überbieten sich in ihren Flirtversuchen und Thomas Wodianka spielt den senilen Vater.
Eine gute Stunde lang ist das durchaus unterhaltsam anzusehen, ein wirksames Gegenmittel gegen trübe November-Stimmung. Das Ganze dreht sich bei zunehmender Spieldauer jedoch im Kreis. Im verzweifelten Versuch, dem Abend doch noch einen tieferen Sinn als bloße Comedy-Unterhaltung zu geben, lässt Erpulat den Mr. Sloane aus seiner Rolle fallen und an der Rampe einen Monolog über seine Rolle als schwarzes Sexobjekt und als Projektionsfläche für den Traum vom angeblich Urtümlichen und Wilden aufsagen. Gleich danach kippt der Abend wieder ins Groteske: der Todeskampf von Thomas Wodianka alias Vater Kemp, der sich erdrosselt in seinem Mikrokabel windet und doch immer wieder als Stehaufmännchen zu The show must go on ansetzt, die meisten Lacher.
Nach 1 Stunde 45 Minuten endete die zweite Aufführung von Nurkan Erpulats Stück, die weit von der mitreißenden Energie seines Verrückten Blutes entfernt war, aber viel Applaus bekam. Lustig! ist der meistgehörte Kommentar im Foyer. Lustig, aber auch harmlos.
Eine interessante Randbemerkung: Thomas Wodianka/Kemp zieht in einem seiner Tattergreis-Wutanfälle auch über die Penner hier, die einfach die Schilder… äh die Kreuze… gestohlen haben, eine Anspielung auf die hitzige Debatte über die Aktion des Zentrums für Politische Schönheit.
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