Schon bevor Sigmar Gabriel und Ursula von der Leyen den Streit um Waffenexporte dafür nutzten, ihr politisches Profil in einem kalkulierten Konflikt zu schärfen und sich für höhere Ämter zu empfehlen, tauchte die preisgekrönte Gruppe Rimini Protokoll in diese Materie ein. Wie wir es von Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel gewohnt sind, recherchierten sie zwanzig Lebensläufe von Akteuren, die auf ganz unterschiedliche Weise in den Streit um Rüstungsexporte verstrickt sind: vom afrikanischen Kindersoldaten über einen Manager der einschlägig bekannten Firma Heckler & Koch bis zu Jan van Aken, Verteidigungspolitiker der Linksfraktion im Bundestag.
Nach einer kurzen Einführung werden die Besucher mit iPad und Kopfhörer ausgerüstet und auf einen Parcours durch das Installations-Labyrinth geschickt. Jeder Zuschauer erlebt sein eigenes Stück und wird mit zehn Situationen konfrontiert: der eine sieht sich auf dem Chefsessel einer großen Bank mit der Kritik einer NGO-Aktivistin konfrontiert, dass das Geld der Anleger nicht länger in dubiose Fonds fließen dürfe; die andere bedient gemeinsam mit dem Drohnen-Piloten den Joystick; der nächste besucht ein Lazarett im Flüchtlingslager; immer wieder kommt es zu Shakehands, wenn sich die Routen der Mitspieler kreuzen und wir uns bei Hinterzimmerdeals in einer Rüstungsschmiede oder einer internationalen Konferenz wiederfinden.
Die technische und logistische Herausforderung, die individuellen Parcours sinnvoll miteinander zu verzahnen und so immer wieder überraschende Interaktionen zu erzwingen, verdient Respekt. Zurecht wurde Situation Rooms auch als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen der Spielzeit zum Theatertreffen im Mai 2014 eingeladen: Rimini Protokoll lotet interessante neue Wege jenseits des Frontal- und Guckkastentheaters aus. Das Problem dieser Inszenierung liegt jedoch auf der Hand und wurde schon in mehreren Beiträgen angesprochen: mit dem iPad in der Hand hetzt der mitspielende Zuschauer von Station zu Station, wo er mit neuen Info-Häppchen gefüttert wird. Wer versucht, über den Tellerrand des Tablets hinauszuschauen, läuft Gefahr, an der nächsten Ecke von der vorgesehenen Route falsch abzubiegen. Es bleibt kaum Zeit zum Reflektieren und Verdauen der Informationsflut.
Diese Herausforderung hat Rimini Protokoll in früheren Inszenierungen wie Karl Marx: Das Kapital. Erster Band und Breaking News aus meiner Sicht besser gelöst.
Situation Rooms von Rimini Protokoll hatte am 23. August 2013 bei der Ruhrtriennale in Bochum Premiere. Noch bis 11. Januar 2015 ist der Abend in Berlin im HAU 2 zu erleben, alle Termine sind bereits ausverkauft, so dass es nur noch Restkarten an der Abendkasse geben könnte. Weitere Gastspiel-Stationen sind hier zu finden.