She She Pop kramen im HAU in den „Schubladen“ und lassen Ost-West-Klischees aufeinanderprallen

Schubladen, eine Arbeit von She She Pop, die 2012 Premiere hatte und Ende Juni 2015 wieder am HAU in Berlin zu sehen ist, unternimmt eine lustige Zeitreise in die 70er und 80er Jahre auf beiden Seiten der Mauer.

Drei Frauen-Paare sitzen sich an Tischen gegenüber und befragen sich gegenseitig über prägende Kindheits- und Jugenderfahrungen. Sie haben tief in den Schubladen und Archiven gekramt und breiten eine Sammlung von Tagebucheinträgen, Schallplatten und Schulbüchern vor dem Publikum aus.

Ost- und West-Frauen, alle um 1970 geboren, unterbrechen sich gegenseitig mit dem Kommando „Stop: Erkläre!“, wenn den im Sozialismus Aufgewachsenen mal wieder ganz selbstverständlich Begriffe wie Messe der Meister von Morgen oder Pionierkalender über die Lippen kommen oder eine West-Frau die Titelmelodien der ZDF-Familien-Serien-Hits aus den 80ern von Diese Drombuschs bis zur Schwarzwaldklinik summt.

Die Kultbücher der 68er-Feministinnen von Simone de Beauvoir und das Kinderladen-Konzept werden dem wohlbehüteten Aufwachsen im kleinbürgerlichen Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter in weniger emanzipierten westdeutschen Familien und dem flächendeckenden Ausbau der Kinderkrippen in der DDR gegenübergestellt. Schnelles Frage-Antwort-Ping-Pong springt assoziativ von Eislauf-Prinzessin Kati Witt bis zum Westpaket der Oma. Über Heiner Müller geht es zu Fotos der Kaufhallen-Tristesse und den Erinnerungen an die Blicke durchs Fernrohr in die „Zone“ von der Aussichtsplattform im Harz.

Spielerisch werfen sich die sechs Akteurinnen Klischees über die andere Seite an den Kopf, weisen sie entrüstet zurück, montieren die Erinnerungen neu zusammen und wenden sich der nächsten Anekdote aus ihrer Kindheit zu. Mit eingestreuten Sticheleien und Songs von Udo Jürgens bis zum Repertoire der Pioniere entfaltet sich ein Panorama des Alltags in Ost und West vor dem Mauerfall.

Einen gemeinsamen Nenner gibt es dann doch: mit dem vereinigten Deutschland sind die sechs Frauen nicht besonders zufrieden: die eine fühlte sich schon im Dezember 1990 um alle Hoffnungen betrogen, die sie noch in der Euphorie der ersten Wochen nach dem Mauerfall hatte. Die andere wirft Joschka Fischer vor, dass er als rot-grüner Außenminister die Ideale der alternativen Bewegungen, mit denen sie im Westen groß geworden ist, über Bord geworfen habe. Und dann gibt es natürlich noch die Szene, als zwei Frauen aus Ost und West gemeinsam in der Erinnerung an Katarina Witts Carmen-Choreographie bei den Olympischen Winterspielen 1988 schwelgen. Beinahe Hand in Hand drehen sie ihre Pirouetten auf ihren Bürostühlen. Es muss also doch eine glückliche Kindheit gewesen sein: in Ost und in West.

Schubladen von She She Pop. – Bühne: Sandra Fox, Kostüm: Lea Søvsø, Licht: Sven Nichterlein, Video: Branka Pavlovic, Grafik: Tobias Trost. – Von und mit: Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Barbara Gronau, Annett Gröschner, Fanni Halmburger, Alexandra Lachmann, Katharina Lorenz, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Peggy Mädler, Ilia Papatheodorou, Wenke Seemann, Berit Stumpf und Nina Tecklenburg. – Premiere am 8. März 2012 im HAU. – Wiederaufnahme vom 28.-30. Juni 2015. – 2 Stunden ohne Pause. – Spielerinnen der Wiederaufnahme: Annett Gröschner, Fanni Halmburger, Alexandra Lachmann, Ilia Papatheodorou, Nina Tecklenburg.

Fotografie: Benjamin Krieg

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