„Es wechseln die Zeiten“: altbackene, verqualmte Brecht-Revue am Berliner Ensemble
Hinter „Es wechseln die Zeiten“ verbirgt sich genau das, was der Untertitel ankündigt: „Eine Revue durch Brechts Stücke in Liedern und Gedichten“. Als das Berliner Ensemble mit „Mutter Courage und ihre Kinder“ am Théâtre de la Ville in Paris zu Gast war, schlugen die französischen Theatermacher vor, als Rahmenprogramm ein Best-of aus Brechts Songs und Texten zu gestalten. Seit der Premiere im September 2014 stand die Produktion „Es wechseln die Zeiten“ auch einige Male an Bertolt Brechts alter Wirkungsstätte am Berliner Schiffbauerdamm auf dem Spielplan.
Es ist eine naheliegende Idee und durchaus legitim, den Ahnherrn und Übervater des Hauses mit einer kleinen, etwas mehr als einstündigen Hommage zu ehren. Aber dieser Abend ist eine altbackene Enttäuschung. Regisseur Manfred Karge sitzt vorne links am Bühnenrand und hangelt sich streng chronologisch durch Brechts Werk. Hinter ihm sitzen die Musiker, rechts haben sich BE-Ensemble-Mitglieder um einen langen Tisch versammelt. Wenn sie nicht gerade an der Reihe sind, einen kurzen Song zum Besten zu geben, vertreiben sie sich die Zeit damit, sich und das Publikum mit Qualm einzunebeln.
Dieser Abend ist eine Zumutung für die Atemwege und in all seiner Einfallslosigkeit schnell abzuhaken.
„Wir wollen spielen!“: Ernst Busch-Schauspiel-Absolventen zeigen ihr Können auf der BE-Probebühne
Empfehlenswerter war einen Tag später „Wir wollen spielen!“: der aktuelle Absolventen-Jahrgang der Ernst Busch-Hochschule zeigte kurz nach dem Intendantenvorspiel auf der Probebühne des Berliner Ensembles ihr Können mit kurzen Ausschnitten ihrer Abschlussarbeiten.
Der Schwerpunkt lag auf klassischen Stoffen: Stella Hinrichs sprach das Gretchen, Annemarie Brüntjen und Jaela Carlina Probst duellierten sich als Elektra und Klytaimnestra. Tschechow war mit gleich drei Szenen vertreten: aus „Die Möwe“, „Platonow“ und „Der Bär“.
In den mehr als drei Stunden, die von einer kurzen Pause unterbrochen waren, ragten folgende Kabinettstückchen besonders hervor:
Leonard Scheicher und Felix Strobel (das Duo aus „Zwei Herren aus Verona“ und „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“) schlüpften in die surrealen Figuren aus Roland Schimmelpfennigs Theaterfassung von „Alice im Wunderland“.
Lukas Darnstädt spielt den Monolog eines Beziehungsunfähigen, der seine Partnerinnen nach allen Regeln der Kunst verführt und dann eiskalt abserviert: eine Episode aus dem Band „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ von David Foster Wallace, der die Feuilletons zu Beginn des Jahrtausends begeisterte.
Jaela Carlina Probst interpretierte das Lied „Gastgeber“ des Kleinkunstduos „Pigor singt. Benedikt Eichhorn muss begleiten“, das über Gäste, die zu früh erscheinen und nur im Weg stehen, lästert.
Zum Schluss sorgte das Quartett Annemarie Brüntjen, Gaja Vogel, Tim Riedel und Tiomcin Vogel mit einem längeren Ausschnitt aus dem Broadway-Hit „The Odd Couple“ für Komödienspaß.
Auch in den anderen Szenen präsentierte sich der Abschlussjahrgang 2016 als talentierte Truppe. Hoffentlich sehen wir viele von ihnen bald mit festen Engagements wieder.
„Spectre“: Sam Mendes bringt die James Bond-Reihe auf die Höhe der Zeit
An „Skyfall“ reicht der 24. Bond-Film „Spectre“ nicht heran, weder qualitativ noch nach dem Einspielergebnis an den Kinokassen in der Startwoche.
Auf Javier Bardem folgt diesmal Christoph Waltz in seiner Paraderolle als „asig-sardonischer Bösewicht“ (Perlentaucher). Aber Judi Dench als „M“ ist kaum zu ersetzen und an Adeles Titelsong-Ohrwurm kommt die neue Melodie, die man sofort wieder vergisst, bei weitem nicht heran.
Dennoch gehört „Spectre“ zu den sehenswerteren, nicht eindimensionalen Filmen der Bond-Reihe. Regisseur Sam Mendes, der mit Hauptdarsteller Daniel Craig schon 2002 in „Road to Perdition“ zusammenarbeitete und nach „Skyfall“ zum zweiten Mal Regie führte, bringt die britische Agenten-Thriller-Reihe auf die Höhe der Zeit.
Das Product Placement für teure Uhren und schnelle Autos ist zwar auch diesmal nicht zu übersehen. Aber während in schwächeren Bond-Filmen zwischen Cocktail-Seligkeit an Traumstränden, Flirts mit austauschbaren Bond-Girls und Action-Baller-Szenen ein inhaltlicher Abgrund klaffte, setzen sich Mendes und sein Drehbuchautoren-Team mit den aktuellen politischen Themen auseinander, die spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden weit oben auf der Tagesordnung stehen.
Nicht nur die Grundstimmung der 007-Filme hat sich von Sommer, Sonne und Laissez-Faire zu einer düsteren, melancholischeren Farbe gewandelt. Auch die Welt der Geheimdienste ist eine andere geworden: Ralph Fiennes (Nachfolger von Judi Dench als „M“) und Ben Wishaw als „Q“ halten sich noch an die alten Gepflogenheiten und Einhegungen. Aber ihnen sitzt der diabolisch-unberechenbare „C“ (gespielt von Andrew Scott, der als Gegenspieler von Benedict Cumberbatch in der „Sherlock“-Serie auf sich aufmerksam machte) im Nacken: Er setzt ganz auf möglichst lückenlose Überwachung aller Datenströme und bastelt daran, aus dem „Five Eyes“-Bündnis der Geheimdienste noch schlagkräftigere „Nine Eyes“ zu machen.
Trotz einer Überlänge von fast zweieinhalb Stunden bietet der neue Bond ansprechende Unterhaltung. Das Spionage-Genre, das schon etwas angestaubt schien, wurde für das 21. Jahrhundert behutsam aufgefrischt. Sein Umgang mit den Bond-Girls kommt nicht mehr ganz so sexistisch rüber (lesenswert dazu Dietmar Dath in der FAZ) und die Verfolgungsjagden wie z.B. die Auftaktszene in Mexiko City sind wie immer glänzend choreographiert. Das Rad wird dabei natürlich nicht jedes Mal neu erfunden: „Das alles wirkt ein bisschen, als habe man den achten Bondfilm „Leben und sterben lassen“ mit der Istanbul-Sequenz des letzten und dreiundzwanzigsten Bondfilms „Skyfall“ vermengt“, fasst Susan Vahabzadeh in der Süddeutschen Zeitung diese Eröffnungssequenz schmunzelnd zusammen.
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