Theater in Zeiten von Terror und Bürgerkrieg: Ferdinand von Schirachs „Terror“ im Deutschen Theater, „Der klügste Mensch im Facebook“ im Ballhaus Naunynstraße

„Terror“ im Deutschen Theater: Freispruch der Schöffen für den angeklagten Kampfpiloten?

Den „Terror“ trägt der Abend am Deutschen Theater Berlin bereits im Titel. Der Strafverteidiger Ferdinand von Schirach, der sich als Bestsellerautor einen Namen gemacht hat, konstruierte in seinem ersten Theaterstück einen Fall, über den in der juristischen Fachwelt vom Uni-Seminar bis zum Olymp des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung über das sogenannte Luftsicherheitsgesetz, in den vergangenen Jahren heiß diskutiert wurde.

Ein islamistischer Terrorist hat ein voll besetztes Flugzeug gekapert und droht damit, es in die ausverkaufte Münchner Allianz Arena abstürzen zu lassen, wo gerade Deutschland gegen England spielt. Kampfpilot Lars Koch (Timo Weisschnur) steht vor der schwierigen Abwägung, wie er reagieren soll, und entscheidet sich, die entführte Passagiermaschine abzuschießen.

Zu Beginn sehen wir ihn in seiner Gefängniszelle neben dem Waschbecken, im Hintergrund flimmern Videos aus Kampfszenen mit schnellen Schnitten, dazu dröhnt 90er Jahre-Indie-Rock: im Kopf des Angeklagten toben die Bilder und Gedanken, bevor er sich vor Gericht verantworten muss.

Der weitere Theaterabend besteht aus der fiktiven Gerichtsverhandlung. Der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm lobte im Nachgespräch, dass das Stück aus juristischer Sicht insgesamt recht sorgfältig argumentiere, in einem realen Strafprozess die verfassungsrechtlichen Exkurse aber stärker in den Hintergrund treten würden. Grimm legte den Finger in eine Wunde dieses Abends: die Schlussplädoyers von Staatsanwältin (Franziska Machens) und Verteidigerin (Aylin Esener) sind zu lehrbuchhaft geraten, er habe all die Fußnoten zu Kant, etc. regelrecht mitgehört.

In diesem Stück gibt es nur eine facettenreichere Figur, die mehr als Thesenträger ist: den Angeklagten Lars Koch. Timo Weisschnur spielt den Kampfpiloten, der oft militärisch-zackig antwortet, aber kein Rambo-Typ ist. Er fühlt sich einer Elite zugehörig (in Deutschland gebe es weniger Kampfpiloten als Vorstandsvorsitzende) und zeigt sich in den längeren Rechtfertigungspassagen als reflektierter Soldat, der vor dem Entschluss zum Abschuss lange mit sich gerungen hat.

Nach zwei kurzen Zeugenaussagen, in denen Lisa Hrdina und Helmut Mooshammer einen Hauch von Komik durchschimmern lassen, und den erwähnten Schlussplädoyers fordert Richterin Almut Zilcher das Publikum auf, als Schöffen über die Schuld des Angeklagten zu entscheiden und analog zum Hammelsprung im Deutschen Bundestag durch die entsprechende Tür zu gehen.

Sehr informativ war das anschließende Gespräch mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Dieter Grimm. Anders als die Mehrheit der Zuschauer, die auf Freispruch entschied, plädierte Grimm für „Schuldig“, dem Angeklagten müsste jedoch ein strafmildernder Rabatt gewährt werden. Vorbild könnte hier das Urteil des Frankfurter Landgerichts im Fall des Frankfurter Polizeipräsidenten Daschner sein, das Grimm als „weise“ lobte.

Ausführlich befasste sich Grimm mit der Kriegsrhetorik: Ebenso wie der französische Staatspräsident Francois Hollande argumentiert auch die fiktive Verteidigerin im Stück „Terror“, dass wir uns im Krieg gegen den internationalen Terrorismus befinden. Grimm warnte davor, den IS und andere Gruppen dadurch aufzuwerten. „Das Wort von den „asymmetrischen Kriegen“, eine These des deutschen Clausewitz-Experten und Politik-Professors Herfried Münkler, insinuiert, dass Verbrecherbanden, die wie Krieg führende Parteien auftreten, auch auf der Seite des Angegriffenen, des Rechtsstaates, alle Regeln außer Kraft setzen. Das dürfe man nicht zulassen,“ warnte Grimm bereits vor einem Jahrzehnt, nachdem George W. Bush den „war on terror“ ausgerufen hatte.

„Der klügste Mensch im Facebook“: Eskapismus mitten im syrischen Bürgerkrieg

Mit einer gehörigen Portion Narzissmus und kaum weniger Eskapismus wollte sich Aboud Saeed die gute Laune nicht verderben lassen. Während sich der syrische Bürgerkrieg in den vergangenen vier Jahren, der als Aufstand gegen Assad begann, zu einem Geflecht aus Stellvertreterkriegen verkomplizierte, schrieb der junge Mann aus Aleppo auf Facebook lieber über die beiden Priortäten in seinem Leben: sein Ego und die Frauen, mit denen er flirtet. Seine gesammelten Posts und Posen erschienen 2013 bei einem kleinen Verlag.

Knapp 80 Minuten lang versuchen Karim Chérif (Schauspieler und Regisseur) und Bärbel Schwarz (an Schlagzeug und Keyboard sowie in den weiblichen Rollen), gegen den Schrecken des Krieges zu lachen und zu singen. Ihre Bühnenfassung von „Der klügste Mensch im Facebook“ im Ballhaus Naunynstraße witzelt und tänzelt gegen den „blöden Diktator“ an.

Manches an dieser Performance war ganz hübsch, z.B. der Song „Keinen Pfennig wert“, auch wenn niemand im Publikum der Aufforderung folgen wollte, den Refrain mitzusingen. Ansonsten drehte sie sich aber zu selbstverliebt im Kreis, bevor sie abrupt endete. Aboud Saeed, der mittlerweile in Berlin lebende Autor der Vorlage, hatte noch einen kurzen Gastauftritt in gebrochenem Englisch. Dann brach die Realität doch noch in die Partystimmung ein: über die Videowände flimmerten die Bilder der Ruinen von Aleppo, aufgenommen im Herbst 2015.

Diese recht belanglose, zu sehr mit sich selbst beschäftigte Revue wirkt wie aus der Zeit gefallen. Wir können die Augen vor der Lage in Syrien genauso wenig verschließen wie Aboud Saeed: Kaum zuhause angekommen, läuft auf vielen Kanälen die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. In Interviews von „Heute-journal“ bis „Tagesthemen“ erklärt sie, dass Aufklärungstornados und eine Fregatte geschickt werden sollen.

Schade, dass das Ballhaus Naunynstraße, das zurecht stolz auf seinen politischen Anspruch ist, zu den brisanten Themen und vielen drängenden Fragen nicht mehr anzubieten hat.

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