Service/No service: Bildungsbürgerscherze zwischen Lametta und Asphalt
„No Service“: Die großen roten Lettern am Bühnenhintergrund sind in René Polleschs neuem Stück an der Volksbühne ganz wörtlich zu nehmen. Nach den Sitzreihen im Parkett wurden auch noch die „Karamasow“-Sofasäcke entfernt. Wer nicht rechtzeitig da ist, um einen der knapp zwanzig Stühle zu ergattern, muss auf dem abschüssigen Asphalt Platz nehmen. Noch bevor es richtig losgeht, wird das Publikum von Maximilian Brauer aufgescheucht, der sich mit einem Thespiskarren eine Gasse durch die Reihen bahnt, bevor er in einer Phantasiesprache auf seine vielen, bunten Smarties einbrabbelt. Kathrin Angerer pflaumt das Publikum an: „Warum lungert ihr hier eigentlich herum? Ihr könnt doch auf den Brettern, die die Welt bedeuten, nicht einfach so lang latschen!“
Der Volksbühnen-Diva geht es in „Service/no service“ aber auch nicht besser: sie muss sich von ihren drei Kollegen (neben Maximilan Brauer noch Franz Beil und Daniel Zillmann) und einem „Stalker“-Chor aus 18-25jährigen jungen Männern Vorwürfe gefallen lassen: sie habe komplett versagt und ihren „Elektra“-Monolog einfach abgebrochen. Die Schauspielerin ist plötzlich verstummt, Ingmar Bergmans „Persona“ läßt grüßen, aber Kathrin Angerer nölt dann doch gewohnt munter durch den restlichen Abend.
Assoziativ umkreist Pollesch mit Bildungsbürgerscherzen seine bekannten Themen: die Liebe („Es ist so schwer, einen zu finden, der nicht nervt“), das Theater und die Liebe zum Theater. Anspielungsreich geht es von „Manufactum“-Stühlen über „Romeo und Julia“ bis zu „Occupy“ und wieder zurück. Der „Stalker“-Chor entpuppt sich als launischer, fast schon tyrannischer Regisseur, der seine vier Schauspieler hin und herscheucht, Angerer auch mal als „Saftschubse“ abkanzelt. Zum letzten Mal wurde dieses „poststrukuralistische Boulevardtheater“ (Tagesspiegel) vom schwarzen Lametta des im Juli verstorbenen Bert Neumann eingerahmt.
„Service/no service“ ist ein Abend für Pollesch-Fans, der die Leib- und Magen-Themen in neuen Variationen auslotet. Aber sein kongenialer Partner Fabian Hinrichs wurde diesmal vermisst: an „Keiner findet sich schön“ oder „Kill your darlings“ reicht „Service/no service“ nicht heran.
„Je suis Jeanne d´Arc“: Assoziationen am Gorki zu einer nationalen Ikone und zur Zerrissenheit der „Grande Nation“
Über weite Strecken ist „Je suis Jeanne d´Arc“ nur albern: eine Aneinanderreihung von Klamauk und Sexwitzchen, eingerahmt von den klassischen Schiller-Versen.
Erst kurz vor Schluss findet der Abend langsam zu sich: aus seinen Assoziationen webt Regisseur Mikaël Serre, der in Paris lebt, ein Bild der zerrissenen französischen Nation. Auf großen Videoleinwänden erscheint die Front National-Einpeitscherin Marine Le Pen, die sich in ihren Reden häufig auf die französische Ikone Jeanne d´Arc beruft und deren Traum vom Einzug in den Elysee mittlerweile gefährlich realistisch ist. Schnelle Schnitte zwischen den Bildern von Polizei-Einsätzen, Kerzen und Mahnwachen („Nein, wir haben keine Angst“), im Vordergrund kippt ein Schiller-Vers unvermittelt in das Daesh-Bekennerschreiben nach den Pariser Anschlägen.
Dem Abend ist anzumerken, dass er mit heißer Nadel gestrickt ist und nicht nur brandaktuell sein möchte, sondern möglichst viele Stichworte dieses aufwühlenden Jahres in den neunzig Minuten unterbringen will: von den Banlieues über die Diskurse französischer Starphilosophen bis zu den Kurden von Kobane im Kampf gegen Daesh. Im Laufe des Abends geht es etwas subtiler zu als in Aleksandar Radenkovićs Monolog, der sich anfangs von „Charlie Hebdo“ zu „Charlie Brown und Snoopy“ kalauerte.
Nach holprig-albernem Start bekommt er noch die Kurve und skizziert im letzten Drittel französische Zustände. Er nahm sich aber leider nicht die nötige Zeit, sein Material zu ordnen und daraus eine interessante Inszenierung zu machen, die auch über 90 Minuten sehenswert wäre.
„Väter und Söhne: russische Elegie nach Turgenjew“
Zwischen Pollesch und Serres wirkt Daniela Löffners „Väter und Söhne“ am Deutschen Theater fast wie ein Kulturschock: Vier Stunden lang klassisches Schauspielertheater, ohne Schnickschnack und Fremdtext, dafür mit großem Ensemble.
Das Publikum ist ganz nah dran, sitzt auf Stühlen am Rand der Bühne. Die Schauspieler, die gerade nicht dran sind, mischen sich unter die Zuschauer und verfolgen die Dialoge über Politik, Liebe und Generationenkonflikt.
In Brian Friels Bühnen-Fassung (1997) von Turgenjews Roman aus der Zaren-Zeit (1861) werden essend, trinkend, zankend und plaudernd große Themen verhandelt: Zunächst dominiert die Auseinandersetzung mit den revolutionären Ideen des Nihilismus und Anarchismus, mit denen die beiden Studenten Arkadij Nikolajitsch Kirsanow (Marcel Kohler) und Jewgenij Wasiljew Bazarow (Alexander Khuon) das verschlafene Landgut aufmischen. Später geht es um Liebesgeständnisse, die mal glücklich im Duett eines Paares enden (Kohler/Kirsanow mit Katerina Sergejewna/Kathleen Morgeneyer), mal schroff zurückgewiesen werden (Bazarow/Khuon versus Anna Sergejewna Odinzowa/Franziska Machens).
Ausgiebiges Palaver an der langen Tafel wechselt mit kurzen Redegefechten im Stehen, die Waffeln duften verlockend: dennoch bleibt nach den vier Stunden der Eindruck, dass es diesen ausufernden Seelenbespiegelungen gut getan hätte, sie noch mehr zu verdichten. Diese russische Elegie bietet viele schöne Momente und auch Kabinettstückchen von Schauspielkunst, ist aber doch etwas langatmig geraten. Vor allem aus den politischen Debatten im vorrevolutionären Russland hätte das Regieteam noch mehr Funken schlagen können, während einige Tischszenen, auch wenn schon alles gesagt schien, noch weiter gedehnt wurden.
„Kings“: Kunstbetriebssatire zwischen Art Basel und Sulzbach an der Hecke
Nora Abdel-Maksouds Satire „Kings“, die im Ballhaus Naunynstraße wiederaufgenommen wurde, hält Hipstern, Galeristen, Mäzenen, überschätzten Hype-Künstlern und Langzeitpraktikanten, die vergeblich vom großen Durchbruch träumen, den Spiegel vor. Mit gut getimten Pointen und zahlreichen Insidergags werden der selbstverliebten Betrieb, die „Dauervergleicher“, die „Beißschienenträger“ aufs Korn genommen. Der Abend ist eine gelungene Mischung, die mal an René Polleschs Assoziationsschleifen und mal an die bissigen Sibylle Berg-Abende erinnert. Das kommt nicht von ungefähr: In „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“, spielte Abdel-Maksoud, Autorin und Regisseurin von „Kings“, eine der wütenden jungen Frauen am Gorki.
Die vier Protagonisten sind grell überzeichnet, aber wohl jeder im Publikum ist ähnlichen Personen schon im realen Berliner Kulturleben begegnet: Serkan Kaya spielt den Impresario „Mabuse“, der mit großen Gesten darüber hinwegtäuschen möchte, dass er vor dem Ruin steht. Seine talentfreie Dauerpraktikantin Pino (Maryam Zaree) hat sich in den Kopf gesetzt, Künstlerin zu werden, seitdem sie in Sulzbach an der Hecke als Jugendliche den Film „Billy Elliot – I will dance“ gesehen hat. Eva Bay spielt Grete, die den Kunstbetrieb verachtet, sich immer absurdere Performances ausdenkt und damit zum angesagten, allerletzten Schrei auf der Art Basel wird und den fiktiven Josef Ackermann-Preis verliehen bekommt. Niemals von ihrer Seite weicht Mehmet (Anne Haug), der Agent der Kunst-Diva. Ständig im Kommunikationsmodus ist ihm das Handy schon fest mit dem Arm verwachsen.
„Kings“ ist eine unterhaltsame Künstlerkomödie, die treffsicher zwischen dem „Herz der Finsternis“, dem Kaufhaus „Alexa“, und den nicht weniger düsteren Galerien und Kreativagenturen, die sich auf engstem Raum ballen, manövriert.
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