Captain Fantastic

Matt Ross macht es den Zuschauern seines Films „Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück“ nicht leicht. Die erste Szene irritiert: Lange Kamerafahrt durch die Wälder Oregons. Ein Reh huscht über eine Lichtung. Ein menschliches Augenpaar hinter dem Gebüsch. Ein blitzartiger Angriff: der Junge tötet das Reh, weidet es aus und isst die Innereien. Dieser männliche Initationsritus wird von der ganzen Familie Cash, die sich fernab der Zivilsation zurückgezogen hat, anschließend gemeinsam gefeiert. Nur eine fehlt: die Mutter.

Nach der ersten Szene könnte man genervt abwinken und Fluchtreflexen nachgeben. Wo sind wir gelandet? Bei „Lederstrumpf“ oder „Der letzte Mohaniker“ von James Fenimore Cooper, wie der Deutschlandfunk in seiner Rezension assoziierte?

Doch wer nach diesem Auftakt aussteigt, verpasst einen der besten Filme des Jahres: „Captain Fantastic“ sorgte schon bei seiner Premiere in Sundance für Aufsehen und wurde anschließend in Cannes mit einem Preis in der Reihe „Un certain regard“ ausgezeichnet. Zurecht stufte das Fachmagazin „Variety“ Matt Ross als einen der „10 directors to watch“ ein, die man im Auge behalten sollte. Als Schauspieler verlief seine Karriere bisher mittelprächtig, aber sein zweiter Film macht Lust und Hoffnung auf mehr.

Er bringt das Kunststück fertig, sehr komisch und zugleich sehr traurig von der Aussteiger-Familie zu erzählen, die nach ihren eigenen Regeln lebt. Staatliche Schulen lehnt Vater Ben ab und stößt damit in dassselbe Horn, wie viele rechte und evangelikale Familien im Mittleren Westen der USA.

Aber seine Kritik kommt von links: statt Weihnachten begeht die Familie den Noam Chomsky-Tag. Auch die jüngsten Kinder beherrschen die Grundbegriffe marxistischer Theorien und können die Charakterzüge eines „Kapitalisten“ oder „Faschisten“ definieren. Abends singt man gemeinsam am Lagerfeuer, liest Dostojewskis „Brüder Karamasow“ oder diskutiert über Quantenphysik. An den Steilwänden treibt Vater Ben (Viggo Mortensen) seine Sprößlinge zu Höchstleistungen – Lebensgefahr inklusive.

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Dass die Hippie-Idylle nicht so  liebenswert ist, wie es auf den ersten Blick scheint, spüren vor allem die beiden ältesten Söhne Bodevan (George MacKay) und Rellian (Nicholas Hamilton), die gegen den Vater rebellieren. Der eine merkt spätestens, als er von einem Mädchen angeflirtet wird, dass er auf das Leben in einer Gemeinschaft überhaupt nicht vorbereitet ist und in einer abgeschotteten Blase aufgewachsen ist, und möchte ein Studium an einer Ivy League-Universität beginnen. Der andere leidet am stärksten unter dem Verlust der Mutter, die sich nach einer bipolaren Störung die Pulsadern aufgeschnitten hat.

Nach ihrem Tod kommt es zum Konflikt zwischen zwei Welten: der Großvater (Frank Lagellan) fordert, dass seine Tochter ein christliches Begräbnis bekommt und dem Vater das Sorgerecht entzogen wird. Ben pocht darauf, dass der letzte Wille seiner Frau respektiert und ihre Asche in alle Winde zerstreut wird.

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Die Hippie-Familie macht sich mit dem Bus auf die Reise quer durchs Land. Mit großen Augen lernen die Kinder Fast Food-Ketten und Supermarkt-Filialen kennen.

Es ist die Leistung von Regisseur und Drehbuchautor Matt Ross, dass seine Geschichte nicht in Klischees ertrinkt, sondern mit spannenden Wendungen von der tiefen kulturellen Kluft und den unterschiedlichen Lebensentwürfen seiner Figuren erzählt. Kurz vor Schluss sieht es für einige Momente so aus, als ob der Film im Kitsch versinken könnte. Er bekommt aber auch hier noch einmal die Kurve.

Der Film „Captain Fantastic“ wird von drei Generationen hervorragender Schauspieler getragen. Den Großvater spielt Frank Langella, der vor allem im Theater verwurzelt ist und im Kino zuletzt vor allem als Richard Nixon zu erleben war. Viggo Mortensen verkörpert den Vater. Er versteht es, zwischen Blockbustern wie „Herr der Ringe“ und ambitionierten Independent-Produktionen zu pendeln und in beiden Welten zuhause zu sein. Den ältesten Sohn Bodevan spielt eine Entdeckung aus Großbritannien: George MacKay, der 2010 als bester Nachwuchsschauspieler auf der Insel ausgezeichnet wurde und nach „Pride“ hier ebenfalls eine tragende Rolle in einem sehenswerten Film spielt.

„Captain Fantastic“ startete am 18. August 2016 in den Kinos. Webseite zum Film

 Bilder: © Universum Film GmbH 

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