Denial

Das Gorki bewies in diesem Jahr Geschick bei der Spielzeiteröffnung: unmittelbar nach Milo Raus düsterer „Empire“-Expedition an der Schaubühne in die Hoffnungslosigkeit und Brutalität des Bürgerkriegs in Syrien stand dort Yael Ronens „Denial“ (Verdrängung, Annahmeverweigerung“) auf dem Programm. Auch hier gibt es zwar viele beklemmende Momente, vor allem kurz vor Schluss, als Dimitrij Schaad einsam an der Rampe steht und sich in seinem Monolog in ein traumatisiertes Missbrauchsopfer hineinversetzt, das sich eingesteht, dieses erlittene Verbrechen jahrelang verdrängt zu haben.

Die Kunst der Gorki-Hausregisseurin Yael Ronen ist es aber, dass sie es erstaunlich oft schafft, in ihren Stückentwicklungen zu bedrückenden Themen wie dem Balkan-Krieg („Common Ground“) oder der Dauerkrise im Nahen Osten („The Situation“) auch heitere Momente und treffsichere kabarettistische Pointen einzubauen, ohne dass es zu peinlich oder aufgesetzt wirkt.

Dies ist natürlich vor allem auch ihren exzellenten Schauspielern zu verdanken. Für die Komik sind an diesem Abend vor allem Ronens israelische Landsfrau Orit Nahmias und der in New York geborene Oscar Olivo zuständig. Nahmias ist seit Jahren eine feste Größe in den Ronen-Projekten und arbeitete mit ihr schon in „Dritte Generation“ an der Schaubühne zusammen. Mit Schmollmund und gespielter Empörung konstatiert sie am Ende, dass sie etwas ganz anderes erwartet und der Abend sein Thema verfehlt habe. In der Tat ist der Abend ein Mosaik aus heiteren Kabinettstückchen und bedrückenden Soli, die auf den ersten Blick recht unverbunden wirken, aber doch ein gemeinsames Oberthema haben: die verschiedenen Facetten von Verdrängung.

Olivo war bis vor kurzem Ensemblemitglied in Hannover und gastierte bereits als Cassio in der schrillen „Othello“-Inszenierung von Christian Weise am Gorki. Diesmal schmückt er die Coming-Out-Probleme eines Jungen in einer tief-katholischen Latino-Einwanderer-Familie genüßlich aus: von der Homophobie des Onkels über den lüsternen Priester bis zur Überforderung eines Jugendlichen bei teuren Telefonaten mit einer Sex-Hotline auf den Bermudas.

Dimitrij Schaad, der sich als „Rampensau“ in den Ronen-Produktionen einen Namen gemacht hat, hat einige gut getimte Auftritte als Side-Kick und Anspielspartner von Nahmias und Olivo. Dass er auch die nachdenklichen, ruhigen Töne beherrscht, zeigte er in dem erwähnten Missbrauchs-Monolog.

Das Schauspieler-Quintett komplettieren Çiğdem Teke, die 2015 von den Münchner Kammerspielen ins Gorki-Ensemble wechselte, und Maryam Zaree, die mit ihrer Hauptrolle in „Shahada“ bekannt wurde und zum ersten Mal im Gorki gastiert.

Die beiden spielen u.a. ein lesbisches Paar, das in eine Beziehungskrise gerät, weil die von Teke gespielte Figur bei der Hochzeit ihrer Cousine in der Türkei ihre Partnerin und das gemeinsame Kind verleugnen und sie lieber als verwitwete, alleinerziehende WG-Mitbewohnerin ausgeben möchte. Dies bleibt einer der wenigen Dialoge an einem Abend, der ansonsten über weite Strecken aus einer Aneinanderreihung von kleinen Soli besteht. Für die Kritik an Erdogans autoritärem Kurs gibt es in dieser Passage starken Zwischenapplaus. Am Ende begrüßte Shermin Langhoff den türkischen Journalisten Can Dündar (Cumhürriyet) als Ehrengast des Abends.

Ronens Arbeitsweise lässt sich an einem Monolog besonders gut beschreiben: Maryam Zaree schildert ihre Angst, dass ihre Mutter im Publikum sitzen könnte und damit alte Wunden aus der Zeit des iranischen Mullah-Regimes aufbrechen könnten. Tatsächlich ist Zaree als Zweijährige mit ihrer Mutter aus Teheran geflohen. Ronen und ihr Ensemble halten aber in der Schwebe, wie viel Autobiographisches in diesem Abend steckt. Reales mischt sich mit Fiktivem.

Nach knapp zwei Stunden endet „Denial“ mit einer etwas esoterisch anmutenden Schluss-Szene. Bis dahin erlebte das Gorki-Publikum einen durchaus sehenswerten Saison-Auftakt, der trotz einiger Brüche die Balance zwischen befreiend-komischen und berührend-nachdenklichen Momenten hielt.

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Bild: Esra Rotthoff

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