Unterwerfung

Dieser François ist ein abstoßender Tropf und erinnert stark an seinen Schöpfer Michel  Houellebecq. Aus Ekel an der Gegenwart hat er sich in seinen Elfenbeinturm zurückgezogen und ganz dem Studium der Schriften von Joris Karl Huysmans verschrieben, dem auch Harald Schmidt einmal eine legendäre Ausgabe seiner Late Night-Show über Huysmans und den Kit-Kat-Club gewidmet hat.

Die Lehre an der Uni nimmt er als notwendiges Übel in Kauf. Sie hat für ihn den angenehmen Nebeneffekt, dass er regelmäßig „Frischfleisch“ junger Studentinnen zugeführt bekommt, mit denen er aber nie länger als ein Jahr zusammen ist, bevor sie ihn für eine bessere Partie verlassen.

Wie Houellebecq leidet auch François an einer starken Nikotinsucht und hat nun Angst davor, einsam an Rachenkrebs zu krepieren. Er wurde gerade von Myriam verlassen und ist mit 44 Jahren ein verbitterter Zyniker, der sich vor allem mit seinen Wehwehchen und seinem körperlichen Verfall beschäftigt. In seiner Selbstbezogenheit trifft ihn überraschend der französische Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2022, in dem es genauso Spitz auf Knopf steht wie beim aktuellen Stichentscheid um die Hofburg Österreich.

Die etablierten Parteien, die sich jahrzehntelang während der V. Republik im Élysée abgewechselt haben, haben genauso abgewirtschaftet wie François. Die Mitte-Links-Sozialisten, die Mitte-Rechts-UMP und ihre jeweiligen Anhänger müssen sich entscheiden, wem sie im entscheidenden 2. Wahlgang zur Macht verhelfen: der wohlbekannten, nationalistischen Rechts-Außen-Front-Frau Marine Le Pen oder dem fiktiven Ben Abbès, dem Kandidaten einer muslimischen, von saudischen Petro-Dollars finanzierten Partei.

Wie hat Karin Beier, die Intendantin des Deutschen Schauspielhaus Hamburg, dies in ihrer Uraufführung inszeniert?

Fast drei Stunden lang steht Edgar Selge allein auf der Bühne vor einem überdimensionalen christlichen Kreuz, das Olaf Altmann entworfen hat. Dieses Kreuz wirkt anfangs wie ein Fremdkörper, als ob es nach einer Thalheimer-Inszenierung vergessen wurde.

Selge hat das schwere Los, den nur leicht gekürzten Roman als langes Solo vorzutragen. Vor allem in der ersten Hälfte drückt er sehr aufs Tempo. Nur wenn wieder eine der anzüglichen Stellen ansteht, in denen François nostalgisch über Sexabenteuer berichtet,  wird Selge etwas langsamer. Diese Passagen werden vom Publikum besonders dankbar aufgenommen, bevor die Parforce-Tour weitergeht.

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Die Ironie, die man als Leser von Houellebecqs Roman auskosten kann, blitzt zwar an der einen oder anderen Stelle auf. Aber anstatt sie sich auf der Zunge zergehen und in der Weite des Schauspielhauses nachhallen zu lassen, hetzt Selge schon weiter.

Auch manche Roman-Dialoge verpuffen, da Selge in seinem Ein-Personen-Kraftakt mit nur zwei Ausnahmen (besonders schräge Vögel aus dem Professoren-Kollegium an der Sorbonne) alle Figuren mit derselben Stimmlage spricht.

Die zweite Hälfte des Abends ist konzentrierter. Dann nutzt Selge auch das Bühenbild stärker: er krabbelt im christlichen Kreuz, das längst keinen Halt mehr bietet, sondern schwankt und rotiert. Als sein François den Anwerbeversuchen des charismatischen Uni-Präsidenten Rediger nachgibt und zum Islam konvertiert, kippt auch dieses Kreuz nach hinten weg.

In der Wand klafft ein großes Loch. An der Rampe steht Selge alias François zum ersten Mal mit durchgedrücktem Rücken und in edlem weißem Gewand. Von der Seite huschen die verschleierten Frauen herein: Die Polygamie macht die Konversion zum Islam für den religiös bis dahin völlig desinteressierten François besonders attraktiv.

Lohnt sich der Abend?

Die Lektüre von Houellebeqs Original, das zufällig am Tag des Attentats auf „Charlie Hebdo“ erschien, kann dieser Theaterabend nicht ersetzen. Aber der Stoff hat eine solche Strahlkraft, dass er auch als Monolog von einem Schnellsprech-Schauspiel-Star vorgetragen, durchaus seinen Reiz hat.

„Unterwerfung“ wurde am 6. Februar am Deutschen Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt. Weitere Informationen und Termine

Bilder: © Klaus Lefebvre

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