Mit großem medialen Begleitwirbel veröffentlichte der Propyläen-Verlag die Autobiographie von Wolf Biermann: „Warte nicht auf bessre Zeiten“.
Vor einer Woche hob das SZ-Magazin Biermann bereits auf die Titelseite, am Mittwoch lud der Verlag gemeinsam mit dem internationalen literaturfestival Berlin vor dem Frankfurter Messe-Auftakt zur Buchpremiere ins Berliner Ensemble.
Der berühmte Liedermacher und Staatsfeind Nr. 1 des Honecker-Regimes wurde auf der Bühne eingerahmt vom langjährigen SPIEGEL-Chefredakteur Stefan Aust und dem Schauspieler Burghart Klaußner, der einige Passagen des mehr als 500seitigen Werks vortrug. Auch mit vereinten Kräften hatten die beiden anderen Promis jedoch sichtlich Mühe, Biermann einzuhegen.
Seine fast 80 Jahre merkte man ihm nicht an, als er auf der Bühne vor Energie sprühte, eine Anekdote nach der nächsten aus seinem turbulenten Leben vortrug und seine beiden Sparringspartner nur schwer zu Wort kommen ließ.
Der Abend schlug den Bogen von der Kindheit in Hamburg bis zur Ausbürgerung aus der DDR vor 40 Jahren. Hineingeboren in eine Familie von kommunistischen Nazi-Gegnern verlor er den Vater, der in Auschwitz vergast wurde, früh. Mit seiner Mutter überstand er die Bombenangriffe auf die Hansestadt. Mit 16 wurde der notorische Schulversager in das vermeintlich bessere Deutschland geschickt und zunächst auch mit offenen Armen empfangen.
1957 stellte ihn Helene Weigel am BE als Regieassistent ein. Dichterfürst Stephan Hermlin protegierte ihn und lud ihn zu einer Lesung in die Akademie der Künste, wo Biermann mit einem Gedicht „An die alten Genossen“ für einen Eklat sorgte. Volksbildungsministerin Margot Honecker versuchte, ihn auf Parteilinie zu bringen, drohte mit der Peitsche und lockte mit dem Zuckerbrot – bekanntlich vergeblich.
Weil er sich in den Finger geschnitten hatte, konnte er gestern Abend nicht selbst zur Gitarre greifen. Seine berühmten Lieder mussten vom Tonband eingespielt werden. Aber davon ließ sich Biermann nicht beirren: er reihte eine Geschichte an die nächste, spielte die Erlebnisse seines Lebens mit verteilten Rollen nach und gönnte seinem Publikum eine große Wolf Biermann-Show. Genüsslich schilderte er, wie das Ost-Pendant der GEMA peinlich darauf bedacht war, dass er alle seine in der DDR natürlich verbotenen Lieder dort korrekt anmeldete, damit das Regime die West-Tantiemen ordentlich verbuchen kann.
Wenn die Pointen-Dichte dieser Neuerscheinung ähnlich hoch ist, könnte NDR Kultur mit seiner Bewertung als „mitreißendes Buch über ein irrwitziges Leben“ richtig liegen.
Wesentlich kürzer als bei Biermann üblich war schon nach 2 Stunden Schluss, bevor es zur Signierstunde und zum Sektempfang ging. Sein legendäres Kölner Konzert, das sich bald zum 40. Mal jährt – es ist also garantiert, dass die Biermann-Festspiele noch eine Weile weiter gehen – dauerte noch 4,5 Stunden. Burghart Klaußner erzählte, dass er an dem Abend am Schauspiel Köln in Gorkis „Nachtasyl“ eine kleine Rolle hatte und zwischen seinen beiden Auftritten im 1. und 4. Akt bei dem historischen Auftritt dabei sein durfte.
Bilder: Pamela Biermann