Als Boulevard-Komödien voller überhitzer Diskursschleifen, die die Herzen von Theaterwissenschaftlern höher schlagen lassen, könnte man die Arbeiten von René Pollesch einem interessierten Außenstehenden beschreiben.
Bei seinem Ausflug in den Zürcher Pfauen treibt er dieses Prinzip auf die Spitze: „Bühne frei für Mick Levčik“ ist eine Hommage an Brechts episches Theater, an die griechische Antike und nicht zuletzt an die Volksbühnen-Stars Bert Neumann und Sophie Rois.
Dass Bertolt Brecht 1948 nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Chur eine Inszenierung der „Antigone“-Tragödie des Sophokles auf die Bühne brachte, wissen heute nur noch Insider. Brecht und sein Augsburger Schulfreund Caspar Neher wollten in einer Modell-Inszenierung ihr „episches Theater“ durchexerzieren und fanden im Stadttheater-Direktor Hans Curjel einen Verbündeten. Leider floppte das Vorhaben kläglich: Der Brecht-Experte Werner Wüthrich beschreibt in seinem Programmheft-Interview, dass das Publikum vom leeren Raum auf der Bühne und vom Verzicht auf illustionische Kulissen überfordert zeigte. Mangels Publikumsinteresse wurde Brechts „Antigone“ nach drei Aufführungen abgesetzt, sie war ihrer Zeit zu weit voraus.
Bert Neumann, der kongeniale Bühnenbild-Partner von Frank Castorf und René Pollesch, konzipierte kurz vor seinem Tod einen Nachbau von Nehers Bühne, den Pollesch mit drei Stützen des Zürcher Ensembles, dem Gaststar Sophie Rois und einem gewohnt sportlich-zickigen Chor in Beschlag nimmt.
Vieles an diesem Abend ist komisch anzusehen. Sophie Rois setzt im Helene Weigel-Gedächtnis-Look immer wieder dazu an, „die anderen an die Wand zu spielen“, wie von ihr gefordert wird. Sie verheddert sich aber jedes Mal bei der Frage, worum es in der „Antigone“ eigentlich geht und ob es nicht ein Inzest-Drama sei.
Fast schon ein fester Bestandteil eines Pollesch-Abends ist, dass der Chor die übrigen Akteure über die Bühne jagt. Sobald jemand „Die Probe ist beendet“ ruft, setzt das wilde Treiben ein und Sophie Rois muss keuchend Reißaus nehmen, weil ihre Verfolger über sie herfallen.
Ein weiterer Running-Gag des Abends ist, dass sich der Chor, der – wie üblich bei Pollesch – aus jungen, trainierten Männern besteht, standhaft weigert, eine alte Frau zu spielen. In mehreren Varianten werden feministische, gendertheoretische Diskurse durchgespielt, dass der Chor auf keinen Fall auf ein bestimmtes Rollenmuster festgelegt werden möchte.
Zugegeben: Diese 75 Minuten sind über weite Strecken lustig. Das gilt vor allem für die Choreographien, die Pollesch im letzten Drittel des Abends für seinen Chor entwickelt hat, wo er Disco-Musik mit SS-Uniformen und Camp-Ästhetik mixt.
Zu oft schleicht sich aber das Gefühl ein, das alles so ähnlich schon mehrfach bei Pollesch gesehen zu haben. Zu viele streberhafte Insidergags reihen sich aneinander.
Ärgerlich ist auch, dass Nils Kahnwald und Jirka Zett das Berliner Ensemble an diesem Gastspiel-Wochenende mit beißendem Zigarettenqualm einnebeln, wie er zu Brechts Zeiten en vogue war, aber heute vor allem für Eckkneipen typisch ist.
Bild: Matthias Horn