Regisseur Manfred Karge schlägt in seiner Uraufführung von Volker Brauns Tragikomödie „Die Griechen“ den Bogen zwischen zwei Referenden: Relativ am Anfang steht die Ankündigung von Giorgos Panpandreou (Premier aus dem PASOK-Establishment) im Herbst 2011, die Wählerinnen und Wähler über das mit der Troika ausgehandelte Rettungspaket abstimmen zu lassen. Nur 24 Stunden später musste Papandreou auf Druck von Merkel und Sarkozy zurückrudern, das Referendum wurde abgeblasen. Kurz danach musste er seinen Hut als griechischer Regierugschef nehmen.
Vier Jahre und zahlreiche Sondergipfel später wurde wieder ein Referendum in Griechenland über ein Rettungspaket angesetzt und diesmal sogar auch abgehalten. Finanzminister Varoufakis hat inzwischen die Bühne der Politik betreten. Felix Tittel verkörpert ihn mit den berühmten Accescoires, über die sich vor allem konservative Medien erhitzten: seinem offenen Hemd und seinem Motorradhelm. Auch den berüchtigten „Stinkefinger“ darf Tittel alias Varoufakis recken.
Wie diese Abstimmung ausging, ist bekannt: die Mehrheit der Griechen stimmte im Juli 2015 mit „Nein“. Varoufakis erklärte wenige Tage nach seinem Sieg im Plebiszit seinen Rücktritt und machte den Weg frei für einen weiteren Sondergipfel, auf dem ein weiteres Paket geschnürt wurde. Die einen jubelten über einen entscheidenden Durchbruch und die Rettung der gemeinsamen Währung, die anderen schimpften über ein Diktat, das den Ausgang des Referendums missachte.
Was Volker Braun von alldem hält, sagt er in seinem Stück „Die Griechen“ sehr deutlich: die auf der Bühne dargestellten Politiker sind traurige Gestalten, die versuchen, auf den Stimmungswellen zu surfen und dabei doch nur abgeworfen werden. Wir leben in postdemokratischen Zeiten, wie es Colin Crouch vor einem Jahr in seinem berühmten Werk analysiert hat.
„Die Griechen“ eignen sich vor allem als Lesedrama: wohl nur dann ist es möglich, allen kleinen, bildungsbürgerlichen Anspielungen vom Minotaurus bis zum Melierdialog nachzuspüren. Braun schwankt dabei zwischen platten Kalauern und intelligentem, doppelbödigem Begriffsjonglieren. Dirk Pilz charakterisierte den Stil des Textes sehr treffend, als er schrieb: „Die linke Hand dieses Textes winkt zu Elfriede Jelinek hinüber, die rechte zu Aischylos, Euripides. Postdramatik und griechische Tragödie in einem – das können nicht viele.“ Noch schwieriger ist es, so einen Text auch noch auf die Bühne zu bringen.
Der zweite Grund dafür, dass sich „Die Griechen“ nicht unbedingt für die Bühne eignen, ist, dass er ein Thema behandelt, das in zig Talkshows durchgekaut und in zig Leitartikeln erörtert wurde, aber in unserer schnellebigen Medienlandschaft bereits ein Jahr vor der Uraufführung auf die kleingedruckten Randspalten und Kurzmeldungen verdrängt worden ist. Brauns rasante Tour durch die griechische Schuldenkrise, die Europas Gipfeltreffen über mehrere Jahre in Atem hielt und das Publikum durch diverse retardierende Momente irritierte, fordert den Leser und Zuschauer heraus, in seinem Gedächtnis zu kramen: Wie war das damals noch mal genau? Ist das wirklich schon so lange her? Der Leser kann innehalten, Suchmaschinen bedienen nachdenken, der Zuschauer droht den Anschluss zu verlieren.
Es war also mutig von Manfred Karge, sich an die Uraufführung zu wagen. Er bietet dem Publikum einen Frontalunterricht: das gesamte Ensemble nimmt auf Stühlen Platz und spricht in chorischen Kleingruppen den Text gegen die vierte Wand. Zur Auflockerung bietet der Text viele kleine Momente zum Schmunzeln.
Dass das Experiment nicht scheitert, liegt vor allem daran, dass Braun in seinen überbordenden Text so viel hineinpackte, dass jeder Zuschauer genug Material darin findet, das zum Weiterdenken und Mit-Nach-Hause-Nehmen einlädt.
„Die Griechen“ sind ein herausfordernder Abend, der sein Publikum nicht mit wohlproportionierten Häppchen an der Hand nimmt, sondern unter 80minütigen Beschuss mit Assoziationen, Anspielungen und Anekdoten setzt und genau daraus einen Reiz entwickelt.
Bilder: © Thomas Eichhorn