Wie lässt sich ein raubeiniger Quereinsteiger stoppen, der keine Regeln anerkennt? Diese Frage stellen sich weltweit Leitartikler, Regierungsstäbe und zurecht besorgte Bürger, seitdem Donald Trump mit großem Getöse die Wahlkampfbühne geentert hat und – was lange Zeit nur wenige für möglich gehalten hatten – schließlich auch den Atomkoffer in seine wenig vertrauenswürdigen Hände bekommen hat.
Am Maxim Gorki Theater geistert ein Trump-Wiedergänger durch eine Western-Landschaft, die Sylvia Rieger für Hakan Savaş Micans „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“-Adaption entwarf. Yousef Sweid spielt den „Outlaw“ Liberty Valance, der steckbrieflich gesucht wird und vor dem das gesamte Western-Kaff zittert, und spickt seine Auftritte mit wörtlichen Trump-Zitaten.
Nach dem Showdown hämmert er mit letzter Kraft David Bowies „This is not America“ in die Tasten des Klaviers. Unter großem Jubel und in einem von den US-Parteitagen, bei denen die Präsidentschaftskandidaten gekürt werden, gewohnten Bad aus bunten Luftballons betritt ein siegreiches Glamourpaar die Bühne, das vermeintlich eine gerechte Ordnung wiederhergestellt hat.
Der Anwalt Ransom Foster (Mehmet Ateşçi), der sich eben noch sehr linkisch abmühte, die Frontier-Gesellschaft mit rechtsstaatlichen Normen vertraut zu machen, wurde von seinen Beratern in einen Glitzer-Anzug gesteckt. Mit dem Auftrag, „Amerika wieder groß zu machen“, wird er nach vorne an die Rampe geschoben und fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Mit ängstlichem Blick sucht er Halt, bevor das Licht ausgeht und die Bühne im Dunkel versinkt.
Sein Aufstieg zum Volkstribunen basiert auf mehreren „alternativen Fakten“: Er hat weder einen reichen Vater noch ein abgeschlossenes Jurastudium. Mit beiden Erfindungen hat er seine Biographie bereits aufgehübscht, als er schwerverletzt nach dem Raubüberfall durch Liberty Valance in dem Western-Städtchen ankam. Die Fans des Spätwesterns „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ von John Ford kennen die dritte Lüge, auf der der Ruhm des Anwalts basiert. Nicht er hat Liberty Valance im Duell erschossen, sondern ein echter Cowboy – den im Film John Wayne spielt und auf der Bühne Taner Şahintürk verkörpert – gab den entscheidenden Schuss ab.
Im Film heißt es lakonisch: „When the truth becomes legend, print the legend.“ Auf diesen Satz verzichtet Savaş Mican zwar in seinem Stück, aber die Wahrheit über den Aufstieg des Anwalts zum Helden wird auch ohne diese Sentenz deutlich ausgesprochen.
Auch die neue Frau an seiner Seite kommt nicht gut weg: Lea Draeger mimt einen steilen Aufstieg von der tellerwaschenden Barbesitzerin zur First Lady im Glamourkleid. Zuerst tritt sie als Karikatur im Freiheitsstatuen-Look auf, kurz darauf klingt ihr Pathos sehr nach Michelle Obama.
„Auf welchem Fundament ist das, was wir <Demokratie> nennen, aufgebaut?“, fragte der Regisseur Savaş Mican im Programmheft und gibt mit seiner Inszenierung die pessimistische Antwort: Politik ist zum Showgeschäft verkommen. Eine Trump-Figur wie Liberty Valance kann nur ein skrupelloses Paar verhindern, das auch nicht so streng zwischen Wahrheit und „alternativen Fakten“ unterscheidet. Darüber darf auch nicht das Pathos hinwegtäuschen, mit dem der Anwalt, den Mehmet Ateşçi spielt, in einem Demokratie-Crashkurs die Grundwerte der westlichen Verfassungen beschwört.
Bis zu diesem Showdown mit pessimistischer Pointe plätschert der Western-Plot recht betulich dahin: einige Westerntanz-Einlagen und stark überzeichnete Figuren wie der alkoholsüchtige Lokaljournalist (Tim Porath) und der tatenlos zusehende Sheriff (Volkan Türeli) lockern den Abend auf, der – wie schon „Der Auftrag“ – zu verqualmt war, so dass nicht nur die Erkältungssaison an den Hustenanfällen des Publikums schuld war.
Bild: Esra Rotthoff
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