It can´t happen here

Mit einer tollen Ausgrabung startet das Deutsche Theater Berlin in die neue Spielzeit: der satirische Roman „It can´t happen here“ war schon fast vergessen, als ihn der Aufbau-Verlag nach Donald Trumps Auftritten in einer neuen Ausgabe wieder auf den Markt brachte.

Sinclair Lewis war Anfang der 1930er Jahre sehr besorgt. Zum einen nagte eine Sinnkrise an ihm, wie Jan Brandt im Nachwort zum Roman schreibt: nach der Verleihung der Nobelpreiswürde durch die Stockholmer Akademie hatte er Bedenken, ob er auch künftig an diese Erfolge anknüpfen könnte. Zum anderen verfolgte er die politische Lage mit mulmigen Gefühlen: in Italien und Nazi-Deutschland bejubelten die gleichgeschalteten Massen die Führerfiguren. Aus erster Hand berichtete ihm seine Frau Dorothy Thompson, die als Korrespondentin für die „New York Evening Post“ bis August 1934 in Berlin arbeitete. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 war längst nicht überstanden, es war unklar, ob der „New Deal“ von Franklin D. Roosevelt Wirkung zeigen könnte.

Um seine Landsleute aufzurütteln, schrieb Sinclair Lewis einen Schlüsselroman über einen fiktiven charismatischen Populisten Buzz Windrip, der gegen Juden, Zuwanderer und das Großkapital Stimmung macht, ein Bündnis mit der „Liga der vergessenen Männer“ schließt und den Abgehängten eine Art bedingungsloses Grundeinkommen verspricht. Konkret zielte der Roman gegen Huey Long, der – wenn auch nur am Rande – kurz erwähnt wird und sich damals als innerparteilicher Rivale von Präsident Roosevelt warmlief.

Innerhalb weniger Monate stellte Lewis in fieberhafter Arbeit (zum Teil 12 Stunden täglich) im Sommer 1935 sein Manuskript fertig. Nur einen Monat später wurde Long bei einem Attentat erschossen. Die eilig redigierte Endfassung erschien im Oktober 1935 und wurde in den USA zum Bestseller. Die deutsche Übersetzung des Emigranten Hans Meisel, die auch der neuen Ausgabe zugrunde liegt, wurde von den Nazis selbstverständlich sofort auf den Index gesetzt.

Im Zentrum des Romans steht der Zeitungsverleger Doremus Jessup aus einer Kleinstadt in Vermont, der mit seiner Familie und einigen Mitstreitern eine Zelle des von Kanada aus gesteuerten Widerstands gründet.

Dem mehr als 430 Seiten dicken Roman merkt man zwar an manchen Stellen an, dass er mit heißer Nadel gestrickt ist. Dennoch möchte ich eine eindeutige Leseempfehlung aussprechen: „It can´t happen here/Das ist bei uns nicht möglich“ ist ein wichtiges Buch über Liberale, die zunächst zögerlich-herablassend, dann nur noch ohnmächtig zuschauen, wie die Gewaltenteilung ausgehebelt, die Demokratie abgeschafft und die Gesellschaft gleichgeschaltet wird.

Für Christopher Rüpings Abend, den er in den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszenierte, gilt diese Empfehlung nur mit Einschränkung. Er hat eine etwas mehr als zweistündige Popversion eingerichtet, in der viel gesungen, noch mehr Schlagzeug gespielt wird (Matze Pröllochs) und fantasievolle Tiger-Kostüme getragen werden. Vor allem Camill Jammal (als Journalist Doremus Jessup), Wiebke Mollenhauer (in einer Doppelrolle als seine Tochter Sissy und deren hier Sächsisch sprechender Verlobter Julian, der in flachem Running-Gag zum Justin wird) und Benjamin Lillie (als Oberst Haik) ist anzumerken, wie viel Freude ihnen die Proben zu diesem Stück gemacht haben.

It Can´t Happen Here

Der Abend ist durchaus unterhaltsam, aber der Kern des Romans, das Einknicken der liberalen Gesellschaft, kommt hier zu kurz. Aus dem Verlesen des 15-Punkte-Manifests von Wahlsieger Windrip wird ein musikalische Nummernrevue. Felix Goeser spielt den Volkstribun sehr blass und ohne den nötigen aasigen Charme. Die Gleichschaltung wird mit einem kurzen, aber durchaus erwähnenswerten Regieeinfall abgehakt: das Publikum wird mit Hot Dogs auf die Bühne gelockt. Das kleine Grüppchen, das der Einladung folgte, verschwindet anschließend hinter der Eisernen Wand. Als sie einzeln wieder auf ihren Platz dürfen, referiert Jessup (Jammal), welches angesehene Mitglied der Gesellschaft hier gerade liquidiert wird.

Schade ist auch, dass die Figur des Shad Ledue (gespielt von Schlagzeuger Pröllochs) in der Bühnenfassung zu kurz kommt: seine Entwicklung von Jessups Gärtner zum Folterknecht ist einer der zentralen Aspekte des Buches.

Bis zur sehr effekthascherisch und mit viel Slapstick in Szene gesetzten Doppel-Liquidierung des Präsidenten Windrip und anschließend seines Spin-Doctors und Nachfolgers Lee Sarason (Michael Goldberg) folgt der Abend dem Romangerüst und endet mit einem wirkungsvollen Monolog von Benjamin Lillie als Militärdiktator Haik, der auf jede ideologische oder moralische Verbrämung verzichtet und die pure, totalitäre Gewalt propagiert.

Mit zwiespältigen Gefühlen entlässt der Abend sein Publikum: wir durften einen bemerkenswerten, fast vergessenen Stoff entdecken, wurden zumindest über weite Strecken des Abends unterhalten, haben auf der Bühne aber doch nur eine ausgedünnte Pop-Comedy-Version des Romans geboten bekommen.

Bilder: Arno Declair

 

 

 

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