Das Publikum reibt sich die Augen: die römischen Patrizier kommen mit verschmierten, grell rotgeschmickten Mündern, Zottelperücken, Strumpfhosen und quietschbunten Kleidchen auf die Bühne. Hat Herbert Fritsch nach seiner von der Berliner Kritik zurecht als mau eingestuften Schaubühnen-Eröffnungspremiere „Zepellin“ nun den Saisonstart des Berliner Ensembles gekapert?
Antú Romero Nunes, vor knapp zehn Jahren ein Shooting-Star am Gorki Theater und mittlerweile an den großen Häusern von Hamburg bis Wien fest etabliert, sollte das existentialphilosophische Ideendrama „Caligula“ von Albert Camus inszenieren. Constanze Becker, die große Tragödin archaischer Thalheimer-Abende, war als Titelheldin angekündigt. Und dann das: die Schauspielerinnen und Schauspieler wirken in den Kostümen von Victoria Behr, die sich durch die enge Zusammenarbeit mit Herbert Fritsch einen Namen gemacht hat, wie arme Tröpfe. Wie ein Gummiball springt Annika Meier in einem gepunkteten Ganzkörper-Overall über die Bühne: auch sie eine feste Größe der Fritsch-Familie, die mit seinen Oberhausener und Volksbühnen-Inszenierungen bekannt wurde.
Leider passt das dadaistisch angehauchte Körpertheater im Fritsch-Stil überhaupt nicht zum kristallklaren Drama von Camus, das im Schatten des Zweiten Weltkriegs 1945 uraufgeführt wurde. Die Patrizier sind von vornherein der Lächerlichkeit preisgegeben und weinerliche Jammerlappen.
Aber auch Constanze Becker darf in diesem Regie-Konzept von Antú Romero Nunes nichts von der schneidenden Schärfe zeigen, die ein „Caligula“ braucht. Wer die herausragenden Auftritte von Mirco Kreibich in Jette Steckels „Caligula“ vor einem guten Jahrzehnt in der Box des Deutschen Theaters oder von Max Wagner in Lilja Rupprechts Arbeit am Münchner Volkstheater gesehen hat, kann sich hier nur enttäuscht abwenden.
Diesem „Caligula“ fehlt jeglicher Gänsehautmoment. Die Szenen, als Mirco Kreibich seine Mitspieler und sein Publikum mit flackernden Augen fixierte und man nie sicher sein konnte, was er als nächstes plant, oder als Max Wagner als narzisstischer Tyrann durch die Spiegellandschaft flanierte und seine Mitspieler kalt lächelnd demütigte, sind Theater-Highlights, von denen diese Eröffnungspremiere von Oliver Reeses Intendanz meilenweit entfernt ist.
Constanze Becker wird in Kurzauftritten als Schulmädchen mit Zöpfen und „Ave Maria“ auf der Blockflöte oder mit einer Kettensäge und viel Kunstblut auf die Bühne geschickt. Ohne jede dramaturgische Einbindung in den Abend singt sie unvermittelt Friedrich Hollaenders „Wenn ich mir was wünschen dürfte“. Diese Intermezzi wirken ebenso unmotiviert und für den restlichen Abend belanglos wie Drífa Hansens Gesangseinlage, die dabei als Christusfigur an ein überdimensionales Kreuz gefesselt ist.
Was für ein verschenktes Potenzial: ein begabter Regisseur, eine Ausnahmeschauspielerin in der Titelrolle und exzellente Darsteller in den Nebenrollen (z.B. Patrick Güldenberg als Scipio und Felix Rech als Chorea) lassen für die nächste Zukunft des Berliner Ensembles Großes erhoffen. Aber dieser Auftakt hat die Erwartungen enttäuscht.
Bilder: Julian Röder