Was für ein Knaller: in ihrer tollen ersten Spielzeit landete Shermin Langhoffs Gorki-Theater einen echten Hit. Sibylle Bergs „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ wurde zum Stück des Jahres der Spielzeit 2013/14. Die vier wütenden, neurotischen jungen Frauen lieferten in der Regie von Sebastian Nübling und der Choreografie von Tabea Martin eine so mitreißende Performance ab, dass ein Gedanke sehr nahe lag.
Wie Hollywood einem erfolgreichen Blockbuster unter Garantie sofort einige Sequels folgen lässt, setzte auch das Gorki auf Fortsetzungen dieses Stoffs. 2015 mussten sich die jungen Frauen mit widerspenstigem Nachwuchs herumschlagen: „Und dann kam Mirna“.
Am Wahlabend 2017 folgt nun Teil III der Berg/Nübling/Martin-Zusammenarbeit mit dem langen Titel „Nach uns das All – Das innere Team kennt keine Pause“. Mit dem Blick auf die tektonischen Verschiebungen im Parlament, dem Schrumpfen der ehemals so stolzen Volksparteien und dem Einzug der rechten AfD ist dem Letzten klar geworden: Der gemütliche Rückzug in den eigenen Kokon funktioniert nicht mehr. Europa steht unter Druck, die Briten kehren dem Kontinent den Rücken und die Demokratie erlebt Stresstests in Serie.
Dieses sogenannte Draußen sagt manchen von uns immer noch nichts und wird jeden Tag unübersichtlicher. Aber die vier Mädels haben kapiert: Sie müssen sich der Realität stellen. „Wie können wir uns wieder vertragen mit den Brexit-Wählern, den Reichsbürgern, Identitätern, Chemtrailspezialisten, den Orbán-Wählern, den Putin-Buddys, den Erdogan-Fans, und die sich mit uns, den anderen, der anderen Hälfte, die auch nicht recht hat“, fragt Sibylle Berg auf dem dünnen Begleitzettel zu diesem Abend.
Die Frauen haben eine Exit-Strategie entdeckt: sie wollen dem Chaos auf der Erde den Rücken kehren, an einer Casting-Show für die Mars-Mission teilnehmen und dort neu anfangen. In orangenen Overalls, die wie eine Mischung aus Raumfahrerinnen-Anzügen, Guantánamo-Häftlingskleidung und mit Werbelogos zutapezierten Formel 1-Outfits daherkommen, tasten sie sich in Zeitlupe auf die Bühne.
Langsam erobern sie sich den Raum und legen dann wieder los, mit diesen furiosen Wortkaskaden und rhythmischen Stampf-Choreographien, die zu einem Berg/Nübling/Martin-Abend gehören wie das Laserschwert zu „Star Wars“, der Sabber zum „Alien“ oder die schrägen Klamotten zu „Jack Sparrow“, um andere erfolgreiche Reihen zu nennen.
In der ersten, stärkeren Hälfte des Abends gehört diesem Quartett die Bühne ganz allein. Das chorische Sprechen und die Bewegungen verlaufen in der zweiten Aufführung noch nicht ganz synchron. Das liegt auch daran, dass das Quartett neu zusammengewürfelt wurde: Aus der Stammbesetzung sind noch Nora Abdel-Maksoud und Suna Gürler dabei. Mit ihren schwarzen Haaren und Brillen werden sich die beiden immer ähnlicher, könnten fast schon als Schwestern durchgehen. Neu dabei sind Abak Safaei-Rad und Svenja Liesau. Letztere ist die Entdeckung dieses Abends. Sie kehrte zum Beginn der Spielzeit zurück ans Gorki Theater: 2013 war sie hier schon einmal beschäftigt, folgte Armin Petras nach dem Zerwürfnis mit Wowereit dann nach Stuttgart und ist jetzt wieder festes Ensemble-Mitglied in Berlin. Sie durfte die bissigsten Pointen und besten Soli performen, die in Sibylle Bergs Text diesmal nicht ganz so reichhaltig serviert wurden wie wir das von der Star-Kolumnistin gewohnt sind.
Für die vier Frauen gibt es nur einen Haken: die Mars-Mission dürfen sie nur in Begleitung eines männlichen Sexualpartners antreten. Schließlich soll die menschliche Spezies im All Nachkommen zeugen. Die Performerinnen sind wirklich nicht zu beneiden, was für Jammerlappen ihnen das Schicksal zugeteilt hat: den IT-Nerd Torben, Anfang 30, ebenfalls in vierfacher Ausführung, mit hässlichen Brillen, peinlichen Rotzbremsen über dem Mund und ungelenken Bewegungen.
Die vier Jungs werden von den beiden Stammkräften Aram Tafreshian und Mehmet Yilmaz (beide seit dem Neustart fest im Ensemble), Knut Berger (regelmäßiger Gast in diversen Stückentwicklungen, z.B. von Falk Richter und Yael Ronen) und Jonas Dassler gespielt. Er studiert noch an der HfS Ernst Busch, hat aber den „Danton“ im Studio der Schaubühne so umwerfend verkörpert, dass er zur neuen Saison gleich ans Gorki verpflichtet wurde. Mit seiner körperbetonten Spielweise passt er exzellent zu diesem Haus, wir dürfen gespannt sein, was wir von ihm noch erleben werden.
Absehbar, dass dieser Trip im Chaos endet, die vier Frauen ihren Flug verpassen und dann eng aneinander geklammert auf der Erde bleiben.
„Nach uns das All“ ist kein so fulminanter Abend wie Teil I und auch nicht mehr so witzig wie Teil II, aber immer noch gute Unterhaltung nach bewährtem Muster. Das Publikum darf sich entspannt zurücklehnen und bekommt genau das, was es schon kennt, mit leichten Variationen, ohne große Überraschungen, aber auch ohne Enttäuschungen.
Bild: Esra Rotthoff