Kafkas Amerika

Franz Kafka machte es den Lesern seines 1912 geschriebenen Roman-Fragments „Amerika“ nicht einfach. Auf den ersten knapp 80 Seiten kommt der Lesefluss nicht richtig in Gang. Diesem Frühwerk fehlen Eleganz und Geschliffenheit, die seine wesentlich berühmteren Romane „Das Schloss“ und „Der Prozess“ für mich zu faszinierenderen Leseerlebnissen machten.

Auch Regisseur Dušan David Pařízek hat spürbare Probleme, für seine Romanadaption auf der großen Bühne des Deutschen Theaters Berlin den richtigen Ton und Rhythmus zu finden. Kurt Tucholsky bemerkte damals in einer Rezension „Niemals ist das, was da geschieht, ganz auszudeuten.“ Gut, das sind wir von Kafka gewohnt und macht das sprichwörtlich Kafkaeske aus. Aber der Regisseur verknappt manche Szenen in seiner Bühnenfassung derart unglücklich, dass Übergänge fehlen, Dialoge aus dem Zusammenhang gerissen und Szenen zu sehr in der Luft hängen. Das macht den Einstieg für Zuschauer, die den Roman nicht gelesen haben, noch schwieriger.

Langsam tastet sich Karl Rossmann, ein gutgläubiger Teenager aus Prag, durch die fremde, neue Welt. Von seinen Eltern wurde er mit dem Schiff nach New York geschickt, begegnet dort fragwürdigen Gestalten, die zunächst oft wohlmeinend wirken, aber bedrohlich bleiben. Marcel Kohler, der großgewachsene, schlaksige Jungstar des DT-Ensembles, ist eine sehr gute Besetzung für diese Hauptrolle. Er hat zwar starke Monologe (am Anfang und kurz vor Schluss), aber auch ihm fällt es schwer, sich in diesem unrhythmischen Abend fest zu verankern.

Die inneren Monologe der Figuren lässt Regisseur Pařízek oft mitten im Dialog von den Figuren aussprechen, ihr Blick scheint dabei ins Leere zu gehen. Auch längere Erzählpassagen mussten die Schauspieler auswendig lernen und vortragen. Einige Sitznachbarn konnten das Gähnen nicht unterdrücken oder stützen das Kinn genervt auf die Handflächen. Das Unangenehmste an diesem schwachen Abend ist der übelstinkende Zigarrenqualm, den Frank Seppeler in einer dramaturgisch komplett überflüssigen Szene in den Zuschauerraum zieht.

Zum Glück ist die zweite Hälfte des Romans szenischer geschrieben: die Konflikte, die zu Karls Entlassung im Hotel Occidental führen, bieten mehr Dialoge. Die Inszenierung wird dynamischer. Regine Zimmermann, die von 2001 bis 2009 fest am Haus engagiert war, spielt sich bei ihrer Rückkehr ins DT-Ensemble ins Zentrum des Abends: Sie mimt alle Frauenrollen und kostet die Komik von Kafkas Text voll aus. Ihre Oberköchin Grete Mitzelbach grimassiert und hat mit ihrem Wiener Schmäh die Lacher auf ihrer Seite. Als laszive, aber überraschend schlagkräftige Klara schickt sie den Hauptdarsteller zu binden. Als Brunelda wickelt sie die Männer um den Finger.

Amerika

Über weite Strecken bleibt diese Inszenierung aber zu einfallslos. Der Regisseur zitiert sich selbst: Den Tageslichtprojektor, mit dem in vordigitalen Zeiten in deutschen Klassenzimmern Folien an die Wand geworfen wurden, setzte er schon in „Niemand“ nach Ödon von Horváth ein. Oder er imitiert seinen Kollegen Bastian Kraft: Er hat an selber Stelle Ulrich Matthes auch schon vor überdimensionalen Schattenspielen auftreten lassen.

Ganz zum Schluss, nach etwas mehr als 2 Stunden, wartet „Amerika“ dann doch noch mit einer Überraschung auf: Ulrich Matthes, Aushängeschild dieses auf seine Tradition stolzen, seriösen Hauses, sonst auf große klassische Rollen wie den Willy Loman im „Tod eines Handlungsreisenden“ oder den „Macbeth“ abonniert, schlüpft in ein Glitzer-Abendkleid. Als Personalchef des „Nature Theatre of Oklahoma“, dem sich Rossmann anschließt, röhrt er in bester Camp-Manier den M.A.S.H.-Titelsong „Suicide is painless“ und sorgt dafür, dass man diesen Kafka-Abend mit Lächeln und Kopfschütteln in Erinnerung behält.

Bilder: Arno Declair

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