Macht und Widerstand

Das Deutsche Theater Berlin hat zu Beginn dieser Spielzeit ein Faibel für großartige, dicke, politische Romane. Kurz nach „It can´t happen here“ stand dort die Berlin-Premiere einer Co-Produktion mit dem Schauspiel Hannover an, die sich gemeinsam Ilja Trojanows wuchtiges „Macht und Widerstand“ vornahmen.

In diesem 2015 erschienen Buch erzählt Trojanow von den sich mehrmals kreuzenden Lebenswegen des anarchistischen Widerstandskämpfers Konstantin und des Geheimdienstoffiziers Metodi, der mithilfe alter Seilschaften auch nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts trotz kurzer Karrieredelle wieder auf der Welle des Erfolgs surft.

Diesen umfangreichen, aber nie ausschweifenden Roman voller Anspielungen auf die postsozialistische Gesellschaft Bulgariens auf die Bühne zu bringen, ist eine große Herausforderung. Der tschechische Regisseur Dušan David Pařízek ist für seine sperrigen, oft recht spröden Adaptionen bekannt. Dass ihm die „Macht und Widerstand“-Inszenierung wesentlich besser gelang als Kafkas „Amerika“, mit dem er vor einer Woche an selber Stelle langweilte, hat eine ganze Reihe von Gründen:

Erstens hat Trojanow seinen Roman sehr szenisch angelegt. In schnellen Schnitten, die sich auch sehr gut für eine Verfilmung eignen würden, wechselt er zwischen den Perspektiven der beiden Hauptfiguren hin und her. Das Buch führt den Leser furios durch die Umbruchzeiten und ist gespickt mit lebendigen Dialogen, teilweise sogar regelrechten Streitgesprächen wie im klassischen Drama. Das ist ein Vergnügen beim Lesen und gibt auch dem Abend einen bei Pařízek bisher ungewohnten Drive.

Zweitens kann diese Inszenierung mit einem beliebten Star punkten: Samuel Finzi, der sich in den vergangenen Jahren mehr auf Fernsehauftritte konzentrierte, darf einige Register seines Könnens ziehen. Er spielt den Konstantin als wütenden alten Mann, der nach zehnjähriger Haft vergeblich die an ihren Sesseln klebenden Eliten zur Rechenschaft ziehen will. Er variiert zwischen lauten Wutausbrüchen und stillen Rückblicken auf die Verhöre und Demütigungen. Zwischendurch unterhält er mit Klaviersoli und pantomimischen Slapstick-Einlagen. Als Sahnehäubchen bekommt er Szenenapplaus für seine kurzen Auftritte als exzentrische Gattin von Metodi.

Macht und Widerstand

Überzeugend fand ich auch Henning Hartmann, der mehrere aalglatte Karrieristen wie den Verfassungsrichter und rückgratlose Grußonkels wie den Vizepräsidenten mimt. Der eigentliche Gegenspieler Metodi wird von Markus John verkörpert. Das Diabolisch-Abgründige dieser Romanfigur kommt in seiner zu braven Interpretation jedoch etwas zu kurz. In den weiteren Frauenrollen bleibt Sarah Franke recht blass. Während die Männer vorne weiterspielen, wird sie zwei Mal minutenlang nach ganz hinten an den Tisch verbannt und qualmt vor sich hin. Eine Bankrotterklärung für den Regisseur, dem offensichtlich nichts eingefallen ist, wie er sie sinnvoller einsetzen könnte, als sie die Zuschauer vollstinken zu lassen.

Drittens passt Pařízeks Lieblingsstilmittel, die an die Wand projizierten Overhead-Folien, diesmal sehr gut. Auch der Roman wird an vielen Stellen von kurzen Ausschnitten aus den Akten des bulgarischen Pendants zur Stasi-Unterlagenbehörde unterbrochen. Anfangs muss Konstantin um jeden Schnipsel kämpfen. Nach einigen Interventionen wird er derart mit Akten-Müll zugeschüttet, dass er daraus kaum noch wertvolle Informationen destillieren kann. In dieser Szene wird die ansonsten kahle Bühne mit den Overhead-Projektionen der Akten regelrecht zutapeziert.

Fast zwangläufig muss natürlich an diesem (mit Pause) fast dreistündigen Abend vieles von der Komplexität der Romanvorlage verloren gehen. An zwei Stellen verschenkt der Regisseur aber auch ohne Not tolle Steilvorlagen: in einer zentralen Passage des Romans liefert sich Konstantin ein Rededuell mit einem Professur für Marxismus-Leninismus in einem Uni-Hörsaal. Dieses Streitgespräch ist witzig und scharfsinnig geschrieben, kommt bei Samuel Finzi in einem stark gekürzten Monolog ohne Gegenpart aber kaum zur Geltung. Auch der Schluss, als Konstantin und einige alte Mitstreiter das Begräbnis des Widersachers aufmischen, ist zu sehr verknappt.

Bilder: Katrin Ribbe

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