Schauspielhaus Hamburg trifft Volksbühnen-Stars im Exil, „Rich Bitch“ aus der Oberschicht steigt in den Kohlenkeller: mit diesen Schlagworten lässt sich Frank Castorfs mehr als fünfstündige Kompilation aus Eugene O´Neills Klassenkampf-Romanze „Der haarige Affe“ mit weiteren Frühwerken des US-amerikanischen Literaturnobelpreisträgers und Texten von Arthur Rimbaud überschreiben.
In der ersten halben Stunde gibt es ein Wiedersehen mit Marc Hosemann und Kathrin Angerer, die bei dieser Produktion kurzfristig für Thelma Buabeng eingesprungen ist. Die Bühne ist fast so dunkel und die Textfetzen sind fast so kryptisch wie in Albert Serras „Liberté“, das derzeit am Rosa-Luxemburg-Platz im Stammhaus von Hosemann/Angerer/Castorf so sehr polarisiert. Obwohl sich Hosemann und Angerer natürlich nicht auf Sänften dahinschaukeln lassen, sondern im typischen Castorf-Sound brüllen und nölen, bleibt dieser Auftakt, der auf „Kaiser Jones“ basiert, sehr zäh. Die Hänger und Längen gibt es natürlich auch bei Castorfs prägenden Großtaten, Henry Hübchen empfahl in der Doku „Der Partisan“ dann wie beim Fußball einfach dran zu bleiben und darauf zu hoffen, dass wieder ein Tor fällt. Es tut dem Abend aber nicht gut, dass schon der Einstieg statt eines furiosen Monologs wie z.B. von Jürgen Holtz in „Les Misérables“ diesmal so schleppend ist.
Immerhin erreicht „Der haarige Affe“ dank der hervorragenden Spielerinnen und Spieler bis zur Pause doch noch die mittlere Castorf-Betriebstemperatur. Im Kohlenkeller schuften die harten Jungs aus dem Schauspielhaus-Ensemble um Charly Hübner (Yank) und Josef Ostendorf (Paddy) gemeinsam mit Abdoul Kader Traoré (Smitty), der sich seit dem „Faust“ zu den Castorf-Stammspielern mausert. Lilith Stangenberg (Mildred) lässt es sich auf dem Sonnendeck gutgehen und wird von Sozialromantik und Voyeurismus dazu getrieben, sich die schweißtreibende Arbeit im Maschinenraum anzusehen. Daniel Zillmann legt seine unnachahmlichen Auftritte aufs Parkett, Anne Müller und Paul Behren (Dion Anthony aus „Der große Gott Brown“) mimen ein Liebespaar. Die nur lose verbundenen Fäden aus mehreren Werken fügen sich diesmal nicht zu einem stimmigen Ganzen.
Bemerkenswert ist, mit welcher Chuzpe Castorf gleich mehreren aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten den Stinkefinger zeigt. Auf dem Höhepunkt der #metoo-Debatte lässt er Lilith Stangenberg minutenlang live auf der Großleinwand nackt Kohlen schippen. Nicht nur diese peinliche „Altherrenphantasie“, wie sie in mehreren Kritiken treffend benannt wurde, sorgt dafür, dass dieser Abend in zwiespältiger Erinnerung bleibt. Wie aus der Zeit gefallen wirkt auch die ständig blinkende „Camel“-Zigaretten-Werbung auf der Drehbühne von Aleksandar Denić. Ein sehr fragwürdiges Statement, da Tabaklobby und CDU/CSU Hand in Hand dafür gesorgt haben, dass das Tabakwerbeverbot, das in der restlichen EU längst Standard ist, in Deutschland in weiter Ferne bleibt.
Bild: Thomas Aurin