Werk ohne Autor

Für sein neues, mehr als dreistündiges Epos „Werk ohne Autor“ taucht Florian Henckel von Donnersmarck wieder tief in die Abgründe und Schuld-Verstrickungen der jüngeren deutschen Zeitgeschichte ein.

Im Zentrum des Film stehen sich als Antipoden der Maler Kurt Barnert, dem Tom Schilling die nötige Sensibilität und Zerbrechlichkeit gibt, und der Arzt Carl Seeband (Sebastian Koch) gegenüber. Durch drei politische Systeme folgt ihnen der Film, der zwischen raunend-pathetischem Geschichtsdrama, Familiensaga und Streifzug durch die Kunstgeschichte mäandert.

Die Verstrickung der beiden Hauptfiguren beginnt während der NS-Zeit. Der kleine Kurt besucht an der Hand seiner Tante die berüchtigte Nazi-Wander-Ausstellung „Entartete Kunst“, die 1938 auch in Dresden gezeigt wurde und die avantgardistischen Experimente der Moderne hämisch anprangerte (Lars Eidinger in einer kleinen Rolle als Kurator, der durch die Ausstellung führt). Kurz danach wird Kurts Tante von Professor Seeband, SS-Obersturmbannführer und örtlicher Kopf des Euthanasieprogramms, in die Gaskammer geschickt. Ihr Erbgut darf sie nicht weitergeben, sie muss wegen einer psychischen Erkrankung als „lebensunwertes Leben“ ausgemerzt werden, entschieden die Nazis in ihrem Rassenwahn von der „Reinhaltung des Blutes“.

Schon bei der Premiere auf dem Festival in Venedig lösten diese Passagen viel Kritik aus: mit dem Dauer-Tremolo von Max Richters Musikauswahl unterlegt, weidet sich die Kamera an nachgestellten Aufnahmen der Luftangriffe auf Dresden und der jungen, zum Teil behinderten Frauen, die in die Gaskammern geschickt wurden. Ästhetisch fragwürdig ist der überladene, schwelgende Stil.

Nach dem Krieg schwimmt der Karrierist Professor Seebald wieder ganz oben: der örtliche KGB-Resident hält seine schützende Hand über ihn, weil er bei Komplikationen bei der Geburt seines Kindes helfen konnte. Seebald wohnt weiter in seiner Villa. Kurt ist mittlerweile junger Student, auf der Suche nach seinem eigenen Stil. Klar ist nur, dass für ihn der sozialistische Realismus, der als Staatsdoktrin vorgegeben ist, noch längst nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Als Jung-Star der Akademie darf er ein großes Wandgemälde zu Ehren der Arbeiter und Bauern entwerfen. Privat verliebt er sich in Seebalds Tochter (Paula Beer), die bald schwanger wird. Bei einer von ihrem Vater angeordneten und selbst durchgeführten Abtreibung versucht er, jede weitere Schwangerschaft seiner Tochter unmöglich zu machen: immer noch ist er vom Rassenwahn der NS-Ideologie tief durchdrungen. Den Schwiegersohn Kurt hält er für nicht wertvoll und stark genug, um ihn als „Stammhalter“ zu akzeptieren.

Die gesamte Familie setzt sich kurz vor dem Mauerbau in die Bundesrepublik ab: Professor Seebald und seine Frau, weil sie einen Wink bekamen, dass ihr KGB-Schutzpatron bald abberufen wird und nichts mehr für sie tun kann und sie die begründete Hoffnung haben, dass in der restaurativen Adenauer-Repulik nicht so intensiv nach jenen gesucht wird, die sich während der NS-Zeit schuldig gemacht haben. Kurt Barnert und seine Frau, weil es ihnen in der DDR zu eng und stickig wurde.

Seebald darf noch einige Jahre das schöne Leben als angesehner Professor und seine Italien-Urlaube genießen, bevor sich die Schlinge enger zieht und wichtige Mitarbeiter aus vergangenen Zeiten enttarnt und angeklagt werden. Barnert lässt sich mit großen Augen von Günther Preußer (Hanno Koffler) durch die Kunstakademie Düsseldorf führen. Professor Antonio van Verten, der deutlich an Joseph Beuys erinnert, wird Kurts Mentor. Dem Regisseur und Drehbuchautor ist hier ein süffisantes Kopfschütteln über die Mechanismen des Kunstbetriebs, ihre Hypes und bejubelten Experimente anzumerken. Daniel Kothenschulte hat sich in der Fachzeitschrift Monopol mit der Darstellung der verschiedenen Stilrichtungen auseinandergesetzt und kam zu dem Schluss, dass Kunst im Kino selten so gründlich missverstanden worden sei.

Am Ende seines großen Geschichtspanoramas schlägt Henckel von Donnersmarck den Bogen zurück zum Anfang, nicht ohne zuvor noch mehrmals die Brüste von Paula Beer in Großaufnahme in Szene zu setzen, wie sich Kritikerinnen empörten. Gerhard Richter, auf dessen Biographie „Werk ohne Autor“ anspielt, fand schon den Trailer zu reißerisch.

„Werk ohne Autor“, der dritte Spielfilm des Regisseurs nach seinem Oscar-Coup „Das Leben der Anderen“ (2005/06) und seinem Flop „The Tourist“ (2010) ist ein sehr zwiespältiges Erlebnis, das ästhetisch viele Fragen aufwirft. Deutschland schickt das Epos dennoch ins Rennen um den Auslands-Oscar 2019.

Bilder: Walt Disney Company

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert