Das ist interessant gedacht: Von Thomas Manns protoytpischem, narzisstischem Hochstapler „Felix Krull“ schlägt Regisseur Alexander Eisenach im Programmheft-Interview mit der Dramaturgin Sibylle Baschung einen Bogen zu aktuellen Modeerscheinungen. In einem lesenswerten, durch viele Beispiele anschaulichen Gespräch analysieren die beiden den Zwang zur Selbstvermarktung auf Instagram, die frisierten Lebensläufe und Profile in Bewerbungsverfahren und das Phänomen der Influencer.
Aber wie ist das auf der Bühne umgesetzt? Die „Influencer“ geistern nur noch in einem müden Wortspiel-Kalauer als „Influenza“ durch den „Felix Krull“-Abend, der sich zu oft in Theater der gedankenarmen uund fadesten Sorte flüchet. Marc Oliver Schulze, der die Hauptrolle des Felix Krull spielt, kommt plötzlich als polternder Berliner Klempner auf die Bühne und performt eine Nummer, die wunderbar in den Quatsch Comedy Club passen würde: Über die Kloschüssel gebeugt verwechselt er ständig „Normen“ mit dem „Norman“ von Elektro Funke.
Dabei hätte diese Eröffnungspremiere solches planloses Herumdriften gar nicht nötig. Hier stolperte ein Team garantiert nicht einfach in ein Projekt, sondern setzte sich intensiv mit dem Stoff auseinander: Der Thomas Mann-Adaption soll auch schon im Dezember eine eigene Stückentwicklung „Stunde der Hochstapler“ von Alexander Eisenach folgen.
Aus dem unvollendeten Roman, an dem Thomas Mann während mehrerer Lebensphasen immer wieder arbeitete, griffen sie sich bewusst nicht die berühmtesten Szenen wie die Tricks bei der Musterung heraus, sondern die langen, essayistischen, abschweifenden Passagen. Im typischen Thomas Mann-Stil ausufernder, oft schwurbelnder Satzungetüme mit feiner Ironie teilen sich die fünf Spieler*innen die Reflexionen über Kunst, Lüge, Schein und die „Allsympathie“, über die Professor Kuckuck bei Thomas Mann schwadroniert.
In den 90 Minuten findet der Abend keine klare Form: der O-Ton von Thomas Mann aus dem „Felix Krull“ und den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ kippt zu oft unvermittelt ins Alberne und Klamakauige. Das Ergebnis ist eine Nummernrevue, die nach konzentriertem Auftakt konturloser und zerfaserter wirkt.
Die Schauspieler*innen hätten auch das Format, einen wesentlich gehaltvolleren Abend zu stemmen: Eine Entdeckung für Berlin ist Marc Oliver Schulze. Er war zu Oliver Reeses Frankfurter Zeit eine der Stützen des Ensembles, spielte den Jason in der hervorragenden „Medea“-Inszenierung und kommt nun nach zwei Jahren freier Arbeiten ans Berliner Ensemble nach. Sein komödiantisches Talent und seine Quirligkeit sorgen für einige schöne Szenen. Seine Stärken kann er aber erst dann ausspielen, wenn es ein tragfähiges Regiekonzept gibt, das ihn nicht verhungern lässt.
Eine positive Überraschung ist auch Jonathan Kempf, der frisch von der Ernsrt Busch sein erstes Engagement am BE antritt und schlecht gelaunt vom Balkon nölend gute Kontrapunkte zum Hauptdarsteller setzt.
Constanze Becker lässt wieder in einem ihrer starken Soli als „Andromache“ ihre Klasse aufblitzen, ist an diesem Abend aber nur Teilzeit-Kraft mit geringen Einsatzzeiten. Sina Martens und Martin Rentzsch bekommen ebenfalls wenig Raum, sich zu entfalten.
Fazit: Trotz starker Schauspieler*innen und eines vielversprechenden Ansatzes überzeugt der Abend nicht. Aus einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Thomas Mann und aktuellen Phänomenen wird eine Nummernrevue. In der Inszenierung zeigt sich eine Schwäche von Alexander Eisenach, die Falk Schreiber schon bei der letzten Premiere in Hannover attestierte: „Natürlich müsste ein Regisseur nicht jeden Probeneinfall am Ende ins Stück integrieren.“
Bilder: © JR Berliner Ensemble