Plateau Effect

Sehr meditativ eröffnet das Staatsballett Berlin seine neue Spielzeit: in Jefta van Dinthers „Plateau Effect“ ringen die Tänzer*innen mit einem überdimensionalen Vorhang.

In der ersten Szene sind sie gemeinsam aufgereiht. Manche noch ganz schüchtern, sie versuchen sich in dem überdimensionalen Stoff einzuwickeln, sich den Blicken zu entziehen, manche treten mutiger auf, eine Tänzerin ruft mit einem Sprechgesang zur Aktion.

Langsam setzt sich die Gruppe in Bewegung: sie nehmen den Vorhang ab und ihn in Besitz. Die nächste Dreiviertelstunde wird zum intensiven Ringen mit der Materie. Die Tänzer*innen zerren an dem Stoff, beginnen, ihn mit Seilen in Form zu bringen und zu straffen. Der Stoff widersetzt sich, bauscht sich in die falsche Richtung.

Nur gemeinsam ist die Gruppe stark genug, mit dem riesigen Vorhang zurecht zu kommen. Einer oder zwei allein würden sich sofort in dem Stoff verheddern und darin untergehen, wie sie immer wieder demonstrieren. Als Team schaffen sie es, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und die Knoten zu knüpfen, bis schließlich ein Segel entsteht.

Die letzten Minuten werden zum Trip: Die Konstruktion ist endlich stabil. Wie einen Fetisch umtanzt das Ensemble das gewaltige Tuch. Mit weit aufgerissenen Augen und ekstatischen Bewegungen feiern sie ihre Gemeinschaft, bevor nach 60 Minuten das Licht unvermittelt ausgeht.

Jefta van Dinther studierte Staatsballett eine Choreographie neu ein, die er bereits 2013 für das schwedische Cullberg Ballett entwickelt hat und die zum Abschluss des „Tanz im August“-Festivals 2014 in der Volksbühne gastierte. Erließ sich für diese Arbeit von einer Schiffsreise durch Skandinavien inspirieren. Im Programmheft erzählt van Dinther, wie er damals beobachtete, dass die Reisegruppe erst langsam zusammenwuchs. Anfangs saßen sie noch sauber geordnet, jeder seine Tasche neben sich, erst im Lauf der sechs Stunden verteilten sie sich lockerer und nahmen den Raum in Besitz.

Die „Plateau Effect“-Choreographie hat immer wieder bildstarke Momente, erfordert aber Geduld. Im Zentrum steht das Ringen mit dem Stoff. Bereits der Titel spielt darauf an, dass Fortschritte kaum spürbar sind. Mühsam geht das Ziehen, Zerren und Schieben voran.

Der Abend ist deshalb eine Einladung, die schweißtreibenden Arbeiten zu betrachten und sich seine eigenen Gedanken und Assoziationen zu diesem Ensemble zu machen, das sich an der widerspenstigen Materie abarbeitet.

„Plateau Effect“ zählt zwar nicht zu den stärksten Choreographien des Staatsballets und wirkt streckenweise sehr meditativ-entschleunigt. Gegen Ende häuften sich bei den Sitznachbarn die Blicke aufs Handy und zur Uhr, was zeigt, dass van Dinther mit seinem Erzählkonzept, dass bewusst auf der Stelle tritt, nicht ganz aufgeht. Wenn man sich auf seine spielerische Auseinandersetzung mit dem großen Segeltuch einlässt, ist diese Spielzeit-Auftakt-Inszenierung durchaus sehenswert.

Bilder: Jubal Battisti

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