Quo vadis, Aida?

Das Grauen der Balkankriege, die Vergewaltigungen und der Genozid an bosnischen Muslimen, die sich in den 1990er Jahren mitten in Europa und vor den Augen der hilflos zuschauenden Weltgemeinschaft ereigneten, sind das große Thema der Regisseurin Jasmila Žbanić.

Schon in ihrem Debütfilm „Esmas Geheimnis/Grabavica“ erzählte sie von den schrecklichen Ereignissen und gewann 2006 den Goldenen Bären im Berlinale-Wettbewerb. Ihr jüngstes Werk „Quo vadis, Aida?“ war einer der Kritiker-Favoriten in einem düsteren, hochpolitischen Festival-Jahrgang am Lido von Venedig, ging bei der Preisverleihung jedoch leer aus.

Eindringlich schildert „Quo vadis, Aida?“ den Zynismus des verurteilten Kriegsverbrechers Ratko Mladić und das von ihm orchestrierte Massaker an mehr als 8.000 Männern in Srebrenica. Die bosnische Kleinstadt war von der UNO zur „Schutzzone“ ernannt worden, doch die niederländischen Blauhelmtruppen waren überfordert und sahen der Deportation der Muslime, die in ihrem Camp Schutz gesucht hatten, am Ende tatenlos zu. Vergeblich hatte der Kommandant Thomas Karremans an seine Vorgesetzten in der Befehlskette und an den UN-Generalsekretär appelliert, der Drohung mit einem Ultimatum Taten folgen zu lassen und den serbischen Vormarsch mit Luftangriffen zu stoppen.

Žbanić erzählt von der Verzweiflung der Muslime und von der Ratlosigkeit der UN-Truppen, die mit ansahen, wie die bosnischen Serben ihre Zusicherungen brachen. Zwischen den realen Figuren wie Mladić und Karremans hat sie eine fiktive Übersetzerin namens Aida positioniert. Die ehemalige Lehrerin dolmetscht für die Blauhelme und versucht, das Schlimmste abzuwenden. Sie hetzt, sie rennt, sie appelliert, sie fleht, sie bettelt. Vor allem sorgt sie sich um ihren Mann und ihre beiden fast erwachsenen Söhne. Aida schafft es, sie in die vermeintliche Sicherheit des Camps zu lotsem, vor dem Tausende in der Hitze ausharren. Sie setzt alle Hebel in Bewegung, um ihre Familie auf die Liste der UN-Ortskräfte zu bekommen, prallt aber letztlich an der Sturheit der Blauhelme ab, die nur fatalistisch ihren Befehlen folgen. Hauptdarstellerin Jasna Ðuriči trägt dieses packende Drama, fast ständig in Bewegung.

Plastisch schildert „Quo vadis, Aida?“ wie die Muslime zusammengetrieben, nach Geschlechtern getrennt und in Bussen weggekarrt werden. Das Massaker an den Männern, die in einer Halle zusammengepfercht wurden, deutet die Regisseurin nur an: sobald die Maschinengewehre in den Schießscharten auftauchen, blendet die Kamera ab, nur noch die Gewehrsalven sind zu hören.

In den letzten Minuten des Films steht die Frage im Raum, wie Aida nach den Massakern weiterleben kann. Jahre später kommt sie zurück nach Srebrenica, in ihre alte Wohnung, in ihre alte Schule. Als Fremde ist sie dabei, wie Eltern fröhlich und stolz bei einer Schultheater-Vorstellung ihrer Kinder im Publikum sitzen und eine unbeschwerte Normalität genießen.

Nach der Premiere in Venedig im September 2020 lief „Quo vadis, Aida?“ bereits auf den Festivals in Hamburg und Wien. Noch bis 31. Dezember 2020 ist es in der Online-Ausgabe des Filmfests Cottbus abrufbar. Die cineastische Weltreise „Around the World in 14 films“ in der Berliner Kulturbrauerei musste leider in diesem Jahr ausfallen. Die dreiköpfige Jury um Faraz Shariat sichtete die Film-Auswahl online und zeichnete „Quo vadis, Aida?“ mit dem ARRI-Preis des Festivals aus.

Am 5. August 2021 startet das sehenswerte Drama „Quo vadis, Aida?“ im Kino.

Im Dezember 2021 war „Quo vadis, Aida?“ der große Gewinner bei der Europäischen Filmpreis-Gala. Der Film räumte drei Hauptpreise ab: für die beste Regie, die beste Hauptdarstellerin und den besten Film.

Bilder: © Deblokada, Foto von Christine A. Maier

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