In Großaufnahme leidet Vanessa Kirby mehr als zwei Stunden lang in der Edel-Soap „Pieces of a woman“. Das ungarische Duo Kornél Mundruczó/Kátá Weber verarbeitete seine autobiographischen Erfahrungen bereits 2018 in einer Theater-Inszenierung für das TR Warszawa und drehten unter demselben Titel anschließend ihren ersten englischsprachigen Film mit Hollywood-Prominenz.
Mit naturalistischer Drastik erlebt das Publikum mit, wie sich die Protagonistin Martha in ihren Wehen windet. Sie wollte unbedingt eine Hausgeburt, die Hebamme ihres Vertrauens muss kurzfristig absagen, die überforderte Vertretung gibt ihr Bestes, aber der Ruf nach dem Notarzt kommt zu spät. Mehr als zwanzig Minuten dauert diese Szene. Für das Kino- und Netflix-Publikum wurde dieser Geburtshorror allerdings schon deutlich entschärft: die Theater-Version, die im September 2020 wegen Corona nur als digitales Gastspiel bei der Ruhrtriennale gezeigt werden konnte, ist noch drastischer und geht mehr an die Nieren.
Der Rest des zähen Melodrams spielt einige Monate nach der Totgeburt in einem trostlosen, wolkenverhangenen Boston. Die Figuren sind im Film ähnlich klischeehaft gezeichnet wie in der Theater-Version, erträglicher wird es nur dadurch, dass Stars wie Shia LaBeouf als Marthas Mann Sean und Ellen Burstyn als ihre Mutter nicht ganz so hölzern spielen wie in der polnischen Bühnenfassung. LaBeouf ist als Bauarbeiter-Underdog mit Hipster-Bart kaum wiederzuerkennen und macht das Beste aus seiner undankbaren Nebenrolle. Mehr Akzente kann 70er Jahre-New Hollywood-Ikone Ellen Burstyn als dominante Mutter setzen, die es nicht akzeptiert, wenn ihre Tochter ein Jota von ihren Vorstellungen abweicht.
Während die Theater-Version mit der Konfrontation zwischen Mutter und Tochter endet, läuft die Film-Fassung anschließend erst recht auf Grund. In einem Schadenersatz-Prozess gegen die Hebamme erlebt Martha ihren Katharsis-Moment, der wie fast der gesamte Film mit einer schwer erträglichen Klaviermusik zugekleistert wird. Diese pathostriefende Szene mündet in eine kitschige Obstgarten-Idylle mit glücklichem, blondem Kind, die auch die Kritikerin der Süddeutschen Zeitung „entsetzlich schlimm“ fand.
Bei der Premiere am Lido in Venedig 2020 tröstete die Festival-Jury die britische Hauptdarstellerin Vanessa Kirby für ihren tränenreichen Leidensweg mit der Trophäe für die beste Schauspielerin. Kurz danach lief „Pieces of a woman“ auch beim Festival in Toronto als „Gala Presentation“ außer Konkurrenz und ist seit dem 7. Januar 2020 auf Netflix verfügbar.
Bilder: Benjamin Loeb/Netflix