Edward II. Die Liebe bin ich

Dieser Abend hat das Zeug dazu, ein polarisierender Publikums-Hit in der Box des Deutschen Theaters zu werden: Jessica Weisskirchen und ihr Team haben sich Ewald Palmetshofers knapp ein Jahrzehnt alte Überschreibung von „Edward II.“ aus der Feder des Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlowe vorgenommen und sich für eine überraschende Setzung entschieden: Das ehrwürdige Deutsche Theater gets kinky.

Bühnen- und Kostümbildner Günter Hans Wolf Lemke verwandelt die kleine Box in einen Fetisch-Sex-Club voller Eisenketten. Die Spieler*innen tragen Leder und Lack, genderfluide Röcke und andere exzentrische Kreationen, mit denen sie an der KitKatClub-Tür keinerlei Probleme haben dürften, beim Premierenpublikum am DT aber mehrfach für Raunen sorgen.

Beeindruckend ist die Konsequenz, mit der das künstlerische Team diese Produktion bis ins kleinste Detail durchzieht. Vom Knebel der Königin Isabella (UdK-Absolventin Mathilda Switala) über das Spanking des Intriganten Mortimer (Max Krause) bis zu den Hundemasken und Dogtraining-Leinen, an denen er und die beiden Peers (Katrija Lehmann, aus Graz mitgekommen, und Jonas Hien, neu vom Schauspielhaus HH nach Berlin gewechselt) über die Bühne gezogen werden, fehlt kaum ein Accessoire aus der phantasievollen Welt des Soft-SM.

Dieses für ein Staatstheater überraschende Setting dient dazu, die eine These des 100minütigen Abends zu illustrieren: der Hof von König Edward (Jens Koch, aus Karlsruhe ans DT gewechselt) ist ein Intrigenstadl, in dem jeder gegen jeden kämpft, nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Alle gieren nach Sex und Macht. Die toxische Spannung aus Lust, Konkurrenzkampf und Unterwerfung gelingt am besten in den Duellen zwischen dem jungen Liebhaber Gaveston (Lenz Moretti) und seinem schärfsten Rivalen Mortimer (Krause).

Die beiden taxieren sich mit Blicken und bedränken sich in Nahkampfduellen. Wie die Regisseurin und ihr Bühnenbildner arbeiten sie erstmals am Haus. Moretti, Sohn des Burgtheater- und Fernsehstars, kommt frisch von der Schauspielschule in der Mainkloake. Krause machte seine Ausbildung in München, trat dort und zuletzt auch in Zürich in Choreographien von Trajal Harrell auf und überzeugte in den vergangenen Jahren mehrfach in tragenden Hauptrollen in den ARD-Sonntagskrimis „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. Mit seiner Mischung aus lauernder Aggressivität und Verletzlichkeit ist er eine sehr gute Besetzung für diesen Theaterabend und hoffentlich noch öfter auf Berliner Bühnen zu sehen. Hier wirkte er bisher nur in einer Volksbühnen-Installation von Susanne Kennedy mit.

Starken Eindruck hinterlassen auch die Voguing-Choreographien von Hannes-Michael Bronczkowski, die er mit dem Ensemble einstudiert hat.

Nach einem sehr holprigen Beginn, bei dem Iris Laufenberg auf den beiden größeren Bühnen, vor allem langjährige Weggefährt*innen aus Graz vorstellte, die in Berlin zum Teil aber schon bekannt und aus guten Gründen nur mäßig erfolgreich waren, landete die neue Intendantin mit dem mutigen Eröffnungsabend in der Box, der krankheitsbedingt um zwei Wochen verschoben werden musste, einen Treffer.

In ersten Kritiken wurde bemängelt, dass die Rollen der Intrigant*innen austauschbar seien, sich die Figuren nicht entwickelten und sich alles in einem großen Intrigen-Knäuel verknote. Aber genau das ist die Grundidee und Kernaussage des Abends: hier sind alle gleich verkommen und nur nach noch mehr Sex und Macht aus. Man kann kritisieren, dass diese Aussage nicht sehr komplex ist. Aber diese These zu bebildern, ist dem sehenswerten Abend auf dem engen Raum der kleinsten Spielstätte geglückt.

Bild: Thomas Aurin

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