Marquise von O. und –

Angenehm ist dieser Theaterabend ganz und gar nicht: die ungarische Regisseurin Ildikó Gáspár stellte sich in ihrer neuen Wahlheimat Berlin auf der großen Bühne des Deutschen Theaters mit einem ambitionierten Projekt vor. In einer Labor-Situation möchte sie herauspräpieren, wie brutal manche Männer mit Frauen umgehen: ein Thema, das sich als roter Faden durch den Spielplan von Intendantin Iris Laufenberg und ihrer Dramaturgie zieht.

Dafür nimmt sich Gáspár zum einen eine sperrige Novelle einer deutschen Geistesgröße vor: Heinrich von Kleists „Marquise von O.“ über die Vergewaltigung einer Ohnmächtigen. Bei Kleist wird das Verbrechen nur als Leerstelle mit dem berühmten Gedankenstrich angedeutet, bei Gáspár wird das Grauen verbal in allen Details ausgebreitet. 

Bauprinzip ihres Abends: Die Novelle wird nachgespielt, meist mit Mikros an der Rampe, nicht ganz so statisch wie bei Simon McBurney und seinem „Michael Kohlhaas“ an der Schaubühne. In jedem Moment wird spürbar, dass der Kleist-Text mit all seinen indirekten Reden ganz untheatralisch geschrieben ist. Dementsprechend zäh wird es manchmal, wenn zwei Stars des Hauses, Maren Eggert als die Marquise und der aus Elternzeit zurückgekehrte Alexander Khuon als Graf die unerhörte Begebenheit verhandeln.

An den Bruchstellen des Literaturtheaters baute Gáspár drei reale Vergewaltigungsfälle ein: mit den Gerichtsakten oder TV-Interviews werden die grausamen Misshandlungen von Franca Viola, Erika Renner und Gisèle Pelicot rekonstruiert. Die ersten beiden Fälle, die sich in den 1960ern in Sizilien bzw. 2013 in Budapest ereignten, kennen wohl nur Experten. Am Leid von Madame Pelicot, das im vergangenen Jahr in Avignon vor Gericht verhandelt wurde, kam jedoch keiner vorbei.

In Großaufnahme schildert Almut Zilcher, ein drittes Ausrufezeichen in der Besetzungsliste dieses Abends, den Schmerz von Pelicot. Die stärkste Szene des langen Abends: eine Textpassage, die nachhallt, vorgetragen von einer Meisterin des Schauspiel-Fachs. Hier kommt die Lecture Performance, mit der uns die Brutalität der patriarchal geprägten Gesellschaft eingebleut werden soll, in ihrem Kern an. Mehr solche schauspielerischen Glanzlichter wären wünschenswert gewesen, stattdessen viel Frontaltheater, zähe Literatur-Nacherzählung und vor allem minutenlanges Stroboskop-Gewitter, um die Konfrontationstherapie dem Publikum so unangenehm wie möglich zu machen.

Noch eine zweite Szene bleibt besonders in Erinnerung: kurz vor Schluss der zwei Stunden liest das Ensemble aus einer Literaturhilfe für den Schulunterricht eine ganze Reihe von Interpretationsansätzen alter, weißer Männer vor, über die man heute nur den Kopf schütteln kann. In argumentativen Verrenkungen wird die Vergewaltigung von Kleists Marquise zur Selbstermächtigung verklärt. 

Mit freundlichem, aber doch auch von den Anstrengungen der Lehrstunde ermatteten Applaus wurde Gáspárs DT-Debüt am gestrigen Premieren-Abend aufgenommen.

Bilder: Eike Walkenhorst

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