Was für ein Einstieg: mit dem klapprigen VW Käfer landet Armando alias Fernando (Wagner Moura) an einer Tankstelle mitten im Nirgendwo. Neben den Zapfsäulen verwest eine Leiche, Fliegen umschwirren sie, auch streunende Köter werden angelockt. Den Tankwart stört das nicht weiter. Die Polizei komme frühestens nach Aschermittwoch, habe über Karneval zu viel zu tun. Als dann doch überraschend ein Polizei-Auto um die Ecke biegt, filzen sie den Fahrer auf der Durchreise genauestens und fordern ein Bestechungsgeld, die Leiche würdigen sie kaum eines Blickes.

Das wäre ein hervorragender Auftakt für einen klaustrophobischen Polit-Thriller über die brasilianische Militärdiktatur 1977. Doch Regisseur und Drehbuchautor Kleber Mendonça Filho entschied sich anders: die überlangen 158 Minuten mäandern, folgen mal diesem und jenem Erzählstrang, tupfen hier ein Motiv hin, machen wo ganz anders weiter. Albern wirkt das „haarige Bein“, das mehrfach wieder kommt: zunächst wird es aus dem Maul eines Hais herausoperiert, erwacht dann zu neuem Leben und hat dann einen blutigen Slasher-Auftritt in einer Cruising Area.

Was es mit Armando alias Fernando auf sich hat, erfährt man erst nach und nach: er ist auf der Flucht, möchte ins Exil und landet bei Dona Sebastiana (Tânia Maria), einer Anlaufstelle für Außenseiter. Udo Kier hat einen Kürzest-Auftritt als vor den Nazis geflohener, schwer gezeichneter Jude Hans. Steven Spielbergs 1975 erschienener Blockbuster „Der weiße Hai“ ist eine zentrale Referenz und lockt die Massen ins Kino.

Zwischen den Genres, Ideen und Motiven verliert sich „The Secret Agent/O Agente Secreto“ im Ungefähren und plätschert langsam seinem Ende entgegen, bei dem junge Studentinnen der Gegenwart den fiktiven Fall aus der jüngeren Zeitgeschichte aufarbeiten wollen. Überraschend ist, dass „The Secret Agent“ bei der Premiere in Cannes gleich vier Preise abräumte, darunter zwei Silberne Palmen (Beste Regie: Kleber Mendonça Filho, Beste Regie: Wagner Moura) sowie den FIPRESCI-Kritikerpreis.

In den vergangenen Monaten tourte „The Secret Agent“ über diverse Festivals, gewann den Arthouse Cinema Award beim Filmfest Hamburg und das Goldene Auge für den besten Darsteller in Zürich. Am 6. November 2025 startete der Film in den deutschen Kinos. Brasilien hat ihn für die Oscar-Verleihung des besten fremdsprachigen Films im März 2026 nominiert. Diese Trophäe ging bereits in diesem Jahr an einen brasilianischen Film über die Militärdiktatur der 1970er Jahre: „Für immer hier“ von Walter Salles war jedoch wesentlich zugänglicher und nicht nur eine Genre-Spielerei für Kritiker.

Bilder: Port au Prince Pictures

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