Erstaunlich viel O-Ton von Friedrich Schiller ist an diesem vorweihnachtlichen Premieren-Abend an Iris Laufenbergs Deutschem Theater Berlin zu hören. An einem Haus, das lange stolz war auf die Traditionspflege und sich unter der aktuellen Intendanz vor allem den zeitgenössischen Stoffen und Blickwinkeln jenseits „weißer, alter Männer“ und patriarchaler Strukturen verschrieben hat.
Doch in Claudia Bossards „Die Räuber. Ort der Geschichte ist Deutschland“ kommt neben einer kurzen Passage aus „Krieg“ von Rainald Goetz viel klassischer Text von Schiller aus seiner jugendlichen Sturm- und Drang-Text.
Der Zugang ist aber dezidiert ironisch und Comedy-haft. Die vier Spieler*innen stürmen zum 90er-Party-Hit „Cotton Eye Joe“ von Rednex in überdimensionalen Reclam-Heftchen-Kostümen von Andy Besuch auf die bis auf ein Reclam-Banner leere Bühne, aus denen nur Arme, Beine und Gesicht hervorlugen. „Wie witzig“, seufzte eine Sitznachbarin, die später immer häufiger ihr Gesicht in den Händen vergrub, je länger der Abend dauerte. Auch danach treten Mathilda Switala (Amalia), Andri Schenardi (Franz von Moor), Janek Maudrich (Karl von Moor) und Moritz Kienemann (Spiegelberg) immer wieder aus ihren Rollen, sticheln gegeneinander in Alltagssprache oder verweisen mit Name-Dropping auf Nietzsche oder Zizek.
Im Programmheft-Interview ließ die Regisseurin verlauten, wie sehr sie sich mit dem Schiller-Text quälte und dass sie ihn für frauenfeindlich und antisemitisch hält. Ihr Bemühen, danach zu fahnden, wie „Die Räuber“ in der Gegenwart zünden könnten, versinkt mangels irgendeiner überzeugenden Regie-Konzeption in zähen zwei Stunden, in denen Schillers Pathos und die Witze aus dem Probenprozess unmotiviert und hilflos nebeneinander standen. Zurecht mischten sich deutlich vernehmbare Buhs für die Regisseurin in den üblichen Premieren-Jubel.
„Die Räuber“ hatten am 20. Dezember 2025 auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin Premiere.
Bild: Eike Walkenhorst
Ulysse Ulrich Schnegg Zumbrunnen
Diese Kritik verrät weniger über den Abend am Deutschen Theater als über die Engführung des eigenen Theaterbegriffs. Sie tarnt ästhetische Kränkung als Analyse und verwechselt bewusst ironische Brechung mit Konzeptlosigkeit. Was hier als „zäh“ und „hilflos“ diffamiert wird, ist in Wahrheit eine konsequente Verweigerung jener musealen Schiller-Verehrung, an der sich ein Teil des Feuilletons offenbar noch immer wärmt.
Der Vorwurf, Claudia Bossard habe „keine überzeugende Regie-Konzeption“, ist nicht nur unbelegt, sondern intellektuell bequem. Die Konzeption liegt offen zutage: Schiller wird nicht restauriert, sondern ausgestellt, zerlegt, ironisiert – als historischer Text, dessen Pathos heute nur noch über Distanz, Humor und Selbstreflexion zugänglich ist. Dass sich die Spieler*innen aus den Rollen lösen, Namen wie Nietzsche oder Žižek fallen lassen und den Probenprozess sichtbar machen, ist kein Zeichen von Ratlosigkeit, sondern von Transparenz: Theater denkt hier über sich selbst nach, statt Bedeutung vorzuspiegeln, wo keine mehr bruchlos zu haben ist.
Besonders unerquicklich ist der süffisante Ton, mit dem das angebliche Scheitern bejubelt wird. Die zitierte Sitznachbarin, die sich „das Gesicht in den Händen vergrub“, ersetzt Argumente durch Anekdoten – ein altbekannter Trick, wenn analytische Schärfe fehlt. Ebenso unerquicklich: das genüssliche Referieren von Buh-Rufen, als wäre das Publikum der letzte ästhetische Schiedsrichter. Wer Premierenreaktionen für Qualitätsurteile hält, betreibt Meinungsfolklore, keine Kritik.
Dass Bossard offen benennt, den Schiller-Text als frauenfeindlich und antisemitisch zu empfinden, wird ihr hier nicht als Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung zugestanden, sondern als Makel ausgelegt. Die Kritik verlangt implizit Demut vor dem Klassiker – und straft jede Regie ab, die diese Demut verweigert. Genau darin aber liegt die Relevanz des Abends: Schiller wird nicht entschuldigt, nicht „gerettet“, sondern der Gegenwart ausgesetzt. Wer das als Respektlosigkeit liest, verwechselt Kanonpflege mit Erkenntnis.
Kurzum: Diese Rezension scheitert an dem, was sie dem Abend vorwirft. Sie erkennt Ironie nicht als Haltung, Fragmentierung nicht als Form und Zumutung nicht als Qualität. Ihr Buh gilt weniger der Regisseurin als dem Umstand, dass Theater sich hier weigert, bequem zu sein.
Konrad Kögler
In ihrer Replik vermengen Sie vieles.
Sie unterstellen mir, dass ich eine kritiklose Klassikerpflege auf dem Hochaltar des Kanons erwarten oder gar wünschen würde. Weit gefehlt.
Einen Abend, wie Sie ihn beschreiben, hätte ich gerne gesehen: eine kluge, ironische Auseinandersetzung mit Schiller, die ihn fürs heute übersetzt. Sicher hatte Claudia Bossard genau das vor, ist aber krachend gescheitert.
Theater lebt von Co-Präsenz, das wurde vor allem in den Monaten des Lockdowns zurecht gepredigt. Deshalb finde ich es nicht nur legitim, sondern auch aufschlussreich, über markante Reaktionen des Publikum zu berichten.
Es sei Ihnen gegönnt, dass Sie einen anregenden, gelungenen Abend hatten. Unsere Meinungen gehen hier einfach weit auseinander. Dass ich mit meiner Meinung nicht alleine stehe, werden Sie beispielsweise an der Schärfe des Nachtkritik-Verrisses erkennen.