„Don Carlos“ am Deutschen Theater Berlin: unter Glasglocke erstarrt

„Die Krankheit im Zentrum des Systems ist die Leere, die Verneinung jeglicher Veränderung, jeglicher Lebendigkeit.“

Dieser Satz des Dramaturgen John von Düffel ist der Ausgangspunkt für einen lesenswerten Essay im Programmheft. Aber er ist leider auch der Grundgedanke der Don Carlos-Inszenierung, die er mit Regisseur Stephan Kimmig am Deutschen Theater Berlin herausbrachte.

Die Schaltzentrale von König Philipp (Ulrich Matthes) in Madrid, die mit ihren weißen, aspetischen Wänden und Türen an einen Flughafen-Security-Bereich erinnert, ist ein Ort der Depression, Lebensverneinung und Erstarrung. Wie unter Valium wirkt alles sehr gedämpft und langsam: die Gespräche der Figuren, die Schritte über die Bühne, das Heben und Senken der Jalousien. Jede Bewegung wirkt wie ein Fremdkörper, die sofort wieder unter Kontrolle gebracht werden muss: seien es die Liegestütze oder die Seilsprung-Einlagen des Infanten Don Carlos (Alexander Khuon) oder die durch Brief-Intrigen angeheizten Liebes-Sehnsüchte der Prinzessin Eboli (Kathleen Morgeneyer).

Der Grundgedanke eines pathologischen, aus Angst vor Machtverlust erstarrten Systems wird in dieser Don Carlos-Inszenierung auf die Spitze getrieben und daran scheiden sich die Geister.

Auf der einen Seite: Langer Applaus nach den 3,5 Stunden der B-Premiere und Zuschauer, die bei Gesprächen im Foyer von der „phantastischen Inszenierung mit großartigen Schauspielern“ schwärmten. Oder Ulrich Seidler, der in der Berliner Zeitung ein „nervenzerfetzendes und herzrhythmushetzendes Mitdenkabenteuer“ rühmt, „sehr leise“ und „temporeduziert“.
Aber auf der anderen Seite die vielen Stimmen, die den Abend zu leblos fanden.

Dieser zweiten Gruppe möchte ich mich anschließen. Kimmig und von Düffel wollen ein „Panoptikum der Kaputtheit“ zeigen, die „Leere und Ausgestorbenheit des Lebens“ (so der erwähnte Aufsatz im Programmheft). Heraus kommt leider zu viel Deklamieren und „Demonstrationstheater“ (so auch Hartmut Krug in seiner „Nachtkritik“) und ein Abend, der „in wirklich aller Konsequenz vor sich hin stagniert“ (Christine Wahl im Tagesspiegel).

Die Inszenierung hat bewusst darauf verzichtet, Schillers Dramentext zu aktualisieren. John von Düffel bewies mit seiner glänzenden Orest-Übertragung, die er für das Münchner Residenztheater nach Aischylos, Euripides und Sophokles schrieb, dass er es versteht, Klasssikertexte in zeitgemäße Sprache zu übertragen, ohne die Originale zu verraten. Es ist völlig legitim, sich in diesem Fall anders zu entscheiden und bei den klassischen Versen mit ihren langen Satzkonstruktionen, die viel Konzentration fordern, zu bleiben. In diesem Fall wirkt es dann aber besonders deplatziert, wenn die Inszenierung noch halbherzig versucht, einen aktuellen politischen Bezug herzustellen: eine Europafahne steht schlaff in einer Ecke auf einem Tisch, ein Mädchen beschwört in Videoeinspielern die Lage Europas und seufzt: „Ich habe Dich vermisst.“ Ein überdeutlicher Verweis auf die Gegenwart, der in dieser Leere wie ein weiterer Fremdkörper wirkt.

Stephan Kimmig hat bewiesen, dass er aus Klassiker-Stoffen packende, herausfordernde Theaterabende gestalten kann, wie Maria Stuart (Theatertreffen 2008) oder Ödipus Stadt (die DT-Eröffnungs-Inszenierung der Spielzeit 2012/13). Bei Don Carlos ist das aus meiner Sicht nicht gelungen.

Don Carlos von Friedrich Schiller. – Regie: Stephan Kimmig. – Bühne: Katja Haß. – Kostüme: Antje Rabes. – Musik: Michael Verhoeven. – Dramaturgie: John von Düffel. -Mit: Ulrich Matthes, Katrin Wichmann, Alexander Khuon, Andreas Döhler, Kathleen Morgeneyer, Henning Vogt, Jürgen Huth, Barbara Schnitzler. – Dauer: ca. 3 Stunden 30 Minuten mit Pause. – Premiere am Deutschen Theater Berlin: 30. April 2015

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