Der Regisseur Michael Thalheimer ist vor allem für zwei Dinge bekannt: Er widmet sich besonders gerne mythisch aufgeladenen Stoffen, wie z.B. in seinen Inszenierungen von Goethes Faust oder der Orestie nach Aischylos. Dabei entschlackt er die Dramen, bis nur noch ein Skelett übrig bleibt. Ein Thalheimer-Abend dauert selten länger als zwei Stunden.
In einem Punkt bleibt er sich auch diesmal treu: Mit Hebbels Nibelungen wagt er sich an einen besonders schwierigen Stoff, der sofort allerlei Assoziationen zu brutalen Machtkämpfen, Intrigen und deutschen Nationalmythen hervorruft. Vor allem nach dem Missbrauch des Nibelungenliedes durch die Nazi-Ideologie fassen viele diesen Stoff nur noch mit spitzen Fingern an. Thalheimer beruft sich dagegen auf die Position des Dramatikers Heiner Müller: Diese untoten Figuren, die weiter durch den Bildungskanon spuken, müssen noch ein mal wiederbelebt werden, um sie endlich begraben zu können, meinte der Geschichtsphilosoph Müller süffisant.
Thalheimers Inszenierung der Nibelungen, die vergangenes Wochenende am Deutschen Theater Berlin Premiere hatte, krankt aber daran, dass man jenseits solcher Sprüche nicht so recht weiß, warum Thalheimer genau diesen Stoff auswählte und was er damit erreichen möchte. Statt schnörkelloser Kürze ufert der Theaterabend diesmal mehr als drei Stunden aus, wobei sich vor allem die letzte Stunde nach der Pause zäh hinschleppt. Sie endet in einer Blutorgie: Eimerweise strömt rote Farbe auf die Schauspieler herunter, die sich damit minutenlang gegenseitig einreiben und in einem Finale mit Pistolen abknallen.
Ein sehr düsterer Abend vollzieht sich auf der Bühne, dessen Schwere noch durch die laut dröhnende Musik von Bert Wrede als anwachsendes Hintergrundgrollen unterstrichen wird. Die lohnende Stückeinführung der Dramaturgin Sonja Anders deutet darauf hin, dass Thalheimer vor allem der Geschichtspessimismus Hebbels, der diese Bearbeitung der Nibelungensaga Mitte des 19. Jahrhunderts schrieb, faszinierte. Ähnlich wie in seiner Orestie nach Aischylos strömt das Blut. Die Menschen sind in blutige Kämpfe verstrickt: Keine Rettung, nirgends.
Wenn gerade nicht gemetzelt wird, liefern sich die Akteure laute Schreiduelle: Vor allem der Zickenkrieg zwischen Kriemhild und Brünhild wird von Maren Eggert und Natali Seelig als zwei der Diven des Ensembles akustisch eindrucksvoll zelebriert.
Während das Publikum freundlichen, aber doch etwas ratlosen, ermattet wirkenden Beifall spendete, waren sich die Feuilletons einig wie selten: Eine Inszenierung, die mit ihrer Lautstärke und ihrem literweisen Einsatz von Kunstblut anstrengt und an der viele ein deutlicheres Konzept vermissten: Was soll diese Blutorgie mythischer Helden uns für die Gegenwart sagen?