ilb-Höhepunkte Liao Yiwu und Vladimir Sorokin

An diesem Sonntag waren zwei beeindruckende, streitbare Köpfe beim Internationalen Literaturfestival Berlin zu erleben.

Der chinesische Dissident Liao Yiwu durfte erstmals ausreisen. Warum die Pekinger Politbürokratie diesmal nachgegeben hat, konnte auch der Autor selbst nicht schlüssig erklären: Erst 2008 bekam er nach knapp zehnjähriger Wartezeit einen Pass, wurde seitdem aber immer wieder an der Grenze zurückgeschickt oder bereits vorab an der Reise gehindert: Deshalb konnte er weder die Einladung zur Frankfurter Buchmesse mit Schwerpunkt China im vergangenen Herbst noch zur Lit.Cologne im Frühjahr wahrnehmen.

Mit der Staatsmacht geriet er erstmals 1989 durch sein Gedicht Massaker über die brutale Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Konflikt. Nach diesem einschneidenden Erlebnis und der mehrjährigen Haft entschied er, sich von fiktionalen Texten zu verabschieden und sich auf eine hyperrealistische Schilderung der chinesischen Verhältnisse zu konzentrieren.

Für Aufsehen sorgte vor allem sein Interviewband Fräulein Hallo und der Bauernkaiser. China von unten, der bei seinem Erscheinen im Herbst 2009 von der Kritik einhellig gelobt wurde: Liao Yiwu traf sich mit Wanderarbeitern und prekarisierten Existenzen, die nicht in das ideologische Bild maoistischer Gleichheit und auch nicht in die westlichen Träume prosperierender Boom-Towns passen, so dass der Text nur im Ausland erscheinen konnte.

Liao Yiwus sprachliche Eleganz und seine Wut zeigte sich vor allem in zwei kurzen Gedichten und einem Offenen Brief an Angela Merkel, dessen Übersetzung der Moderator Hans Christoph Buch vortrug. Hat dieser Brief vielleicht zum Kurswechsel in Peking beigetragen, Liao Yiwu diesmal reisen zu lassen?

Erfreulicherweise war der Moderator dieser Veranstaltung im fast bis auf den letzten Platz besetzten Theatersaal des Hauses der Kulturen der Welt nicht so indisponiert wie Arno Widmann anschließend an der Schaubühne am Lehniner Platz: Der Feuilletonchef der Frankfurter Rundschau stellte Ernst Stötzner, langjähriges Ensemble-Mitglied am Deutschen Theater, Hauptdarsteller vieler wichtiger Inszenierungen im deutschen Sprachraum und nun an der Schaubühne, peinlicherweise unter falschem Namen vor und hielt ihn für den Übersetzer von Vladimir Sorokins Erzählungsband Der Zuckerkreml. Als ihn Stötzner höflich darauf aufmerksam machen wollte, dass er lediglich Passagen aus dem Text vortragen wird, verstrickte sich Widmann noch tiefer in seinen Faux-Pas, bis ihm Stötzner einen kleinen Zettel während einer Pause rüberreichte.

Nach dieser sehr unprofessionellen Eröffnung entwickelte sich doch noch eine interessante Diskussion über Sorokins Text und seine negative Utopie von Russland im Jahr 2027. In seinem neuen Werk spinnt der Autor die Konstruktion seines grotesken Romans Der Tag des Opritschniks weiter: Russland hat sich zur Monarchie entwickelt und mit einer "Großen Mauer" völlig vom Westen abgeschottet. Mit Brutalität wird jeder Widerstand niedergeschlagen. Während sich dieser Roman von 2007 ganz auf die Mechanismen der Herrschaft konzentrierte, nehmen die Episoden des neuen Bandes die Perspektive der "kleinen Leute" ein, die versuchen, halbwegs unbeschadet in der Schreckensherrschaft ihrem Alltag nachzugehen.

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